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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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und schlitzten mir die Haut auf. Jedes Mal, wenn ich eine Pflanze niederdrückte, tauchte an ihrer Stelle eine andere auf.
    Langsamer, ermahnte ich mich. Atme. Denk nach!
    Aber mein Körper hörte nicht auf mich. Ich konnte den Highway zurück nach Winchester nicht sehen. Ich konnte nicht einmal mehr den Truck finden. Die Furcht grub sich immer tiefer in meiner Brust ein. Mein Schweiß vermengte sich mit dem Regen, der vom Himmel fiel, doch ich rannte weiter. Wo war die Straße?
    Einmal stürzte ich, klatschte in eine schlammige Pfütze. Schmutzwasser schlug mir ins Gesicht und drang in meinen Mund. Ich spuckte aus, was ich konnte, würgte und rannte weiter.
    Endlich sah ich vor mir eine Lichtung und steuerte unverzüglich darauf zu. Mir war egal, ob ich zurück zum Truck gelaufen war, wenn ich nur herausfinden konnte, wo ich war. Als ich näher kam, konnte ich mehr erkennen, und ich stützte mich auf die Knie, rang um Atem und war zugleich zutiefst erleichtert, dass ich nicht mehr allein war.
    Vor mir stand ein Wohnanhänger von doppelter Breite und dem gleichen, dumpfen Gelb wie Haut und Augen von Rick und Stan. An einer Ecke, wo das Wetter die Verkleidung abgepellt hatte, war ein Streifen Aluminium zu sehen. Unter dem Wagen lagen drei große Plastikfässer, transparent genug, dass ich Flüssigkeit im Inneren schwappen sehen konnte – wahrscheinlich Wasser. Mehrere Windspiele schwangen unter dem Vordach über der Tür heftig hin und her, doch konnte ich sie bei dem prasselnden Regen nicht hören.
    Auf der Betonstufe vor der Tür saß eine Frau in einem Schaukelstuhl und sah dem Sturm zu. Ihre Jogginghose hing ihr wie ein Sack um die Waden, und über ihren Schultern lag locker ein pflaumenblauer Strickschal. Sie sah aus, als wäre sie früher einmal stämmig gewesen, dann aber so plötzlich abgemagert, dass nun viel zu viel Haut an ihrem Körper hing. Solch einen Hautsack konnte ich an ihrem Kinn sehen und andere an den unbekleideten Teilen ihrer Unterarme. Zu ihren Füßen fläzte sich ein großer, gelber Labrador.
    Hinter der Behausung stand ein Auto, und hinter dem Auto sah ich einen Kiesweg.
    Meine Laune besserte sich schlagartig. Die Frau sah recht freundlich aus. Sie hätte die Mutter von einem meiner Mitschüler sein können, die auf ihrer Veranda saß und darauf wartete, dass ihre Kinder aus der Schule nach Hause kamen. Vielleicht konnte sie mich in die Stadt fahren.
    Vielleicht konnte sie mich sogar bis zum Checkpoint fahren.
    190 Rudy Lane. Wieder und wieder betete ich mir in Gedanken die Adresse vor.
    Erste Schmetterlinge fingen an, in meinem Bauch mit den Flügeln zu schlagen. Ich hörte Chases Stimme, die mich warnte, dass es nirgends sicher sei. Tja, es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
    Ich verließ das Maisfeld und trat auf die Lichtung, gerade fünf Meter von der Stelle entfernt, an der die Frau saß. Sie sprang so hastig auf, dass sie beinahe den Stuhl von der Betonstufe gestoßen hätte.
    »Hallo!«, rief ich und ging langsam auf sie zu. Dabei bemühte ich mich, so harmlos wie möglich auszusehen. »Es tut mir leid, ich habe mich verirrt. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.«
    Ihre Augen standen weit auseinander, und ihre leicht eingefallenen Wangen verloren jegliche Farbe, als ich mich näherte. Ihr Mund klappte auf, und sie strich offenbar unbewusst ihr grau meliertes Haar glatt.
    Ist bestimmt lange her, seit sie überraschend Besuch bekommen hat, mutmaßte ich.
    »Oh!«, machte sie plötzlich und winkte mir zu, näher zu treten. »Der Regen! Du wirst ja ganz nass! Komm hier herauf!«
    Vorsichtig trat ich auf die Stufen zu. Sie war kleiner, als ich gedacht hatte, etliche Zentimeter kleiner als ich. Als ich unter der Markise stand, legte sie mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter und tätschelte sie sanft, als wollte sie sich vergewissern, dass ich keine Illusion war. Nun erst wurde mir bewusst, wie ich aussehen musste, schlammverschmiert und bis auf die Knochen durchnässt. Ich wischte mir mit dem Handrücken über das Gesicht und hoffte, dass es nicht allzu schmutzig war.
    Hier konnte ich die Windspiele hören; sie waren beinahe ohrenbetäubend laut. Bei einem besonders lauten Klirren schrak ich zusammen; sie hingegen hatte es anscheinend gar nicht wahrgenommen.
    »Du siehst aus, als hättest du einen schlimmen Tag hinter dir«, sagte sie.
    Ich lachte oder schluchzte, eins von beidem. Am Ende jedenfalls lächelten wir beide.
    »Tut mir leid! Komm herein, ich mache dir

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