Arto Ratamo 7: Der Finne
versprochen, uns das ›Opferbuch‹ zu übergeben, nun hat er seine Entscheidung aber zurückgenommen. Es versteht sich von selbst, dass ich Ihnen das Dokument übermitteln würde, wenn ich es könnte. Sutela ist nicht der richtige Mann, so ein brisantes Objekt zu bewahren. Mir graust schon bei dem Gedanken, was für Probleme das Dokument noch verursachen könnte.«
Der Patriarch betrachtete die abgeernteten Weizenfelder in der Umgebung Moskaus und dachte, dass wirklich niemand vollkommen ist. »Ich war sicher, dass die Kirche das ›Opferbuch‹ entweder durch Vikar Furow oder von dieser finnischen Frau erhalten wird. Und es waren auch Vorkehrungen für den Fall getroffen worden, dass das ›Opferbuch‹trotz alledem in Eerik Sutelas Besitz gelangt. Deshalb habe ich sofort zu Ihnen Kontakt aufgenommen, als ich erfuhr, dass der FSB Otto Forsman gefunden hat und dass Sie beim Auslandsnachrichtendienst arbeiten …«
»Das ist doch ein Sieg für die Kirche. Ihr Plan war glänzend, in einem offenen Kräftemessen hätte die Kirche sich nie gegen Bukins Machtapparat behaupten können. Jetzt bleibt dem Präsidenten nichts anderes übrig, als mitzuteilen, dass er sich aus der Politik zurückzieht«, versicherte Atkins.
Wladimir II., der Patriarch von Moskau und ganz Russland, war so glücklich wie seit Jahren nicht. Heute würde er sich in diesem seidigen Gefühl ausruhen und vielleicht auch noch morgen, aber dann zog wieder der Alltag ein. Er machte sich Sorgen um seine Kirche: In ihrem Schoß hatten sich rechtsextreme und den Kommunismus bejahende Priester eingenistet und sogar solche, die sich nach den Zeiten sehnten, in denen das Land mit seinem Kernwaffenarsenal eine Supermacht darstellte; diese Stärke wollten sie nun zurückerlangen. Solche Stimmen mussten zum Schweigen gebracht werden. Erst dann könnte er sein endgültiges Ziel erreichen, das Patriarchat von Moskau an Stelle von Konstantinopel zum Mittelpunkt der ganzen orthodoxen Welt zu erheben. Und sich selbst zu seinem heiligen Führer.
Es gelang dem Patriarchen, Derek Atkins anzulächeln. »Vielleicht ist es wirklich am besten, wenn sich das ›Opfer buch ‹ im Besitz einer unparteiischen Seite befindet. Wer weiß, womöglich kommt der nächste Bukin aus dem Kreis der Kirche.«
EPILOG
Grassina, Montag, 21. August
Arto Ratamo lag schweißgebadet in seinem Liegestuhl, den er im Garten des Atelierhauses des Finnischen Künstlerverbandes in der Kleinstadt Grassina unweit von Florenz in den Schatten geschoben hatte. Er tat so, als würde er über eine Sudoku-Aufgabe nachdenken, die ihm Nelli eben gegeben hatte. Es war unfassbar, dass sie ihn in Mathe schon als Zwölfjährige glatt in die Tasche steckte. Dieses Talent hatte Nelli garantiert von ihrer Mutter geerbt, er hatte nie glänzen können, wenn es um Zahlen ging.
Schon sechs Tage lang herrschte eine sengende Hitze, seit er mit Nelli zusammen in Italien eingetroffen war. In dem Atelierhaus Casa Finlandese, das zum Teil aus dem 16. Jahrhundert stammte, gab es keine Klimaanlage, Abkühlung brachte nur die zwischen ihm und Ilona entstandene eisige Atmosphäre. Es war ein Fehler gewesen hierherzukommen, das hatte Ratamo sofort gemerkt. Ilona war mit ihrer Kunst beschäftigt und dabei so in sich gekehrt, dass sie ihn und Nelli kaum wahrnahm. Aber immerhin schmeckte das Essen genauso himmlisch wie stets in Italien. Er hatte sich den Bauch vollgestopft mit einer ungeheuren Menge von Delikatessen aus der Toskana und sich sogar in Weine verliebt, die aus der Sangiovese-Traube hergestellt wurden, obwohl er den italienischen Rotwein nie besonders gemocht hatte.
In den sechs Tagen hatte Ratamo mehr mit Nelli geredet als in den letzten Monaten, aber das wichtigste Thema immer erfolgreich umschifft wie eine Boje im Meer. Aber jetzt musste er das hinter sich bringen, morgen würden sie nachFinnland zurückkehren, und übermorgen ging Nelli wieder in die Schule.
»Wie geht es eigentlich diesem Jere, angeblich läuft ja zwischen ihm und dir was. Jussi hat erzählt, dass ihr ganz gut miteinander könnt.« Endlich hatte er es geschafft, danach zu fragen, und er beglückwünschte sich zu seiner passenden Wortwahl.
»Da läuft nichts«, murmelte Nelli, die sich Sonnencreme ins Gesicht schmierte. »Er geht in meine Klasse, wir haben nur Civilization 4 gespielt, weil im Sommer alle anderen weg waren.«
»Ihr habt was gespielt?«
»Na hallo, wer hat denn hier keine Checkung. Das ist ein Computerspiel, so ein
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