Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
»Häuptling Bleiddig und Derfel, ein Hauptmann aus Dumnonia.«
Ein hochgewachsener, hagerer Mann mit Sorgenfalten im Gesicht und schütteren weißen Haaren erhob sich von einem Tisch, an dem er gesessen und etwas geschrieben hatte. Eine leichte Brise ließ das Blatt rascheln, und er hantierte ungeduldig, bis er alle vier Ecken des Pergaments mit Tintenhörnern und Schlangensteinen beschwert hatte. »Ach ja, Bleiddig!« sagte der König, während er uns entgegenkam.
»Wie ich sehe, seid Ihr zurück. Gut, gut. Manche Leute kommen nie zurück. Weil die Schiffe es nicht schaffen. Darüber sollten wir nachdenken. Wären größere Schiffe die Lösung - was meint Ihr? Oder bauen wir sie falsch? Ich bin mir nicht sicher, ob wir genügend Kenntnisse im Schiffsbau haben, obwohl unsere Fischer es beschwören, aber von denen kommen auch einige nicht mehr zurück. Ein Problem.«
In der Mitte des Raumes blieb König Ban stehen, um sich die Schläfe zu kratzen, wobei er sich noch mehr Tinte in die dünnen Haare schmierte. »Eine spontane Lösung drängt sich mir im Moment nicht auf«, verkündete er schließlich. Dann sah er mich an. »Ferkel, nicht wahr?«
»Derfel, Lord König«, berichtigte ich und sank auf ein Knie.
»Derfel!« Verwundert wiederholte er meinen Namen. »Derfel!
Laßt mich nachdenken! Derfel. Ich glaube, wenn dieser Name überhaupt eine Bedeutung hat, so bedeutet er ›einem Druiden gehörig‹. Gehört Ihr einem Druiden, Derfel?«
»Ich wurde von Merlin großgezogen, Lord.«
»Ach, wirklich? In der Tat! Sieh an! Das ist doch was. Wie ich sehe, müssen wir uns unterhalten. Wie geht es meinem lieben Merlin?«
»Er wurde seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, Lord.«
»Dann ist er also unsichtbar! Ha! Ich hatte immer vermutet, daß dies zu seinen Tricks gehören könnte. Äußerst nützlich. Ich muß meine Gelehrten bitten, den Fall zu untersuchen. Erhebt Euch, erhebt Euch doch! Ich kann es nicht leiden, wenn Menschen vor mir knien. Ich bin kein Gott, wenigstens glaube ich, daß ich keiner bin.« Als ich stand, musterte mich der König und schien enttäuscht zu sein. »Ihr seht aus wie ein Franke«, stellte er verwundert fest.
»Ich bin Dumnonier, Lord König«, erklärte ich stolz.
»Aber sicher doch, und ein Dumnonier, der, wie ich hoffe, unserem lieben Arthur vorauseilt, ja?« erkundigte er sich erwartungsvoll.
Ich hatte diesen Moment gefürchtet. »Nein, Lord«, antwortete ich. »Arthur wird von zahlreichen Feinden belagert und kämpft um die Existenz unseres Königreichs. Deswegen hat er mich und ein paar Männer geschickt - alle, die wir entbehren können -, aber ich soll ihm schreiben und mitteilen, ob hier noch mehr gebraucht werden.«
»In der Tat brauchen wir mehr, in der Tat«, sagte Ban so energisch, wie es seine dünne, hohe Stimme erlaubte. »Meine Güte, ja! Also Ihr habt ein paar Männer mitgebracht, wie? Wie viele sind das, bitte, genau?«
»Sechzig, Lord.«
Unvermittelt setzte sich König Ban auf einen Holzstuhl mit Elfenbeinintarsien. »Sechzig! Ich hatte auf dreihundert gehofft!
Und auf Arthur persönlich. Ihr scheint mir sehr jung zu sein für einen Hauptmann, der Männer befehligt«, sagte er zweifelnd. Dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. »Habe ich da recht gehört? Habt Ihr gesagt, daß Ihr schreiben könnt?«
»Ja, Lord.«
»Und lesen?«
»In der Tat, Lord König.«
»Seht Ihr, Bleiddig!« rief der König triumphierend und sprang vom Stuhl auf. »Manche Krieger können lesen und schreiben!
Und es macht sie nicht unmännlich. Es reduziert sie nicht auf den niederen Status von Schreibern, Weibern, Königen oder Poeten, wie Ihr so gern glauben möchtet. Ha! Ein des Lesens und Schreibens kundiger Krieger! Verfaßt Ihr vielleicht zufällig auch Gedichte?« fragte er mich.
»Nein, Lord.«
»Wie schade. Wir sind hier eine Gemeinschaft von Dichtern. Wir sind eine Bruderschaft! Wir nennen uns fili , und die Poesie ist unsere strenge Meisterin. Es ist, könnte man sagen, unsere heilige Aufgabe. Wäre es möglich, daß Ihr Euch inspirieren laßt? Kommt mit mir, mein gelehrter Derfel.« Arthurs Abwesenheit schien vergessen. Ban trippelte aufgeregt durch den Raum, während er mir winkte, ihm durch eine zweite große Doppeltür und durch einen weiteren kleinen Raum zu folgen, in dem eine zweite Harfenistin - halbnackt wie die erste und ebenso schön - über die Saiten strich, und schließlich in eine große Bibliothek.
Ich hatte noch nie eine richtige Bibliothek gesehen,
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