Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Palastes lag ein Gewirr von kleineren Gebäuden, die sich wie Vogelnester an die steilen Granithänge klammerten. Da gab es Tempel, Läden, Kirchen und Wohnhäuser, alle weiß getüncht, alle aus Stein, alle verziert mit Bildhauerarbeiten und Dekorationsstücken, die in Bans hohem Palast nicht gebraucht wurden, und alle lagen sie an der mit Steinen gepflasterten Straße, die sich in Stufen um den steilen Felsen zum Königsschloß emporwand. An der Ostseite der Insel gab es eine schmale Steinpier, an der Boote festmachen konnten. Da ein bequemes Anlegen aber nur bei ganz ruhigem Wetter möglich war, hatten unsere Schiffe uns an einem sicheren Anlegeplatz einen Tagesmarsch weiter im Westen an Land gesetzt. Hinter der Pier lag ein kleiner Hafen, der im Grunde nichts weiter war als ein von Sandbänken geschützter Gezeitenteich. Bei Ebbe war dieser Teich vom Meer abgeschnitten, während er bei Flut, sobald der Wind aus Norden kam, keinen sicheren Schutz mehr bieten konnte. Abgesehen von den Stellen, an denen der Granitfelsen selbst zu steil zum Klettern war, zog sich um die ganze Insel eine Steinmauer, welche die Außenwelt fernhalten sollte. Denn außerhalb von Ynys Trebes herrschten Aufruhr, feindliche Franken, Blut, Armut und Krankheit, während innerhalb der Mauern Gelehrsamkeit, Musik, Poesie und Schönheit wohnten.
Ich selbst gehörte nicht in König Bans geliebte Inselstadt. Meine Aufgabe war es, Ynys Trebes auf dem Festland von Benoic zu verteidigen, wo die Franken tief in das Ackerland vordrangen, das für die luxuriöse Hauptstadt lebenswichtig war; da aber Bleiddig darauf bestand, daß ich dem König vorgestellt werden sollte, wurde ich über den Damm geführt, durch das Stadttor, das mit einem in Stein gehauenen Wassergeist geschmückt war, der einen Dreizack schwang, und dann die steile Straße empor, die zu dem hoch gelegenen Palast führte. Meine Männer waren auf dem Festland geblieben, aber ich wünschte, ich hätte sie mitgebracht, damit auch sie die Wunder dieser Stadt bestaunen konnten: die mit Friesen geschmückten Tore, die steilen Steintreppen, die zwischen den Tempeln und Geschäften auf und ab führten, die Häuser mit den Balkons, auf denen Blumenurnen und Statuen standen, und die Quellen, die reines Süßwasser in Marmortröge spien, an denen sich jeder den Eimer füllen oder sich niederbeugen konnte, um einen Schluck zu trinken. Bleiddig, der als mein Führer fungierte, bemerkte grollend, wieviel gutes Geld die Stadt hier verschwende, das besser auf die Verteidigungsanlagen an Land verwendet worden wäre, ich aber war von Ehrfurcht ergriffen. Dies, sagte ich mir, ist ein Ort, für den es sich zu kämpfen lohnt.
Bleiddig führte mich durch das letzte, mit einem Wassergeist verzierte Tor in den Palasthof. Die efeubewachsenen Gebäude des Palastes umstanden den Hof auf drei Seiten, während die vierte von einer Reihe weiß getünchter Torbogen begrenzt wurde, die einen weiten Blick aufs Meer gewährten. An jeder Tür standen Palastwachen in weißen Mänteln, mit blankgeputzten Speerschäften und glänzenden Speerspitzen.
»Die taugen zu gar nichts«, flüsterte Bleiddig mir verstohlen zu. »Könnten nicht mal einen Welpen besiegen, aber sie sehen wirklich hübsch aus.«
Am Portal des Palastes empfing uns ein Höfling in weißer Toga, der uns durch einen Raum nach dem anderen führte, die alle mit kostbaren Schätzen gefüllt waren. Da gab es Alabasterstatuen und Goldschalen, und ein Gemach war ganz mit Metallspiegeln ausgekleidet, in denen ich mich voll Entsetzen ins Unendliche gespiegelt sah: ein bärtiger, verdreckter Soldat mit rostrotem Mantel, der in den unebenen Verkleinerungen der Spiegel immer zwergenhafter wirkte. Im nächsten Raum, der weiß gestrichen und vom Duft vieler Blumen erfüllt war, saß ein Mädchen und spielte Harfe. Sie trug eine kurze Tunika und sonst nichts. Als wir vorübergingen, lächelte sie uns zu, spielte aber weiter. Ihre Brüste waren golden von der Sonne, ihre Haare kurz geschnitten, ihr Lächeln war unbeschwert. »Sieht aus wie im Hurenhaus«, vertraute mir Bleiddig mit heiserem Flüstern an,
»und bei den Göttern, ich wünschte, es wäre eins. Dann wäre es wenigstens zu etwas zu gebrauchen.«
Der Höfling mit der Toga stieß die letzte Doppeltür mit Bronzegriffen auf und geleitete uns unter Verneigungen in ein großes Gemach, das auf das glitzernde Meer hinausging.
»Lord König…« - damit verbeugte er sich vor der einzigen Person im Raum -
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