Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
ich«, fuhr Arthur todunglücklich fort, »bin ein Mensch, der einen Eid mühelos bricht. Ich habe den Eid gebrochen, den ich Ban geschworen habe, und ich habe den Eid gebrochen, den ich Ceinwyn gegeben habe. Die arme Ceinwyn.« Zum erstenmal hörten wir ihn so offen sein gebrochenes Eheversprechen beklagen. Ich hatte gedacht, Guinevere sei eine so hell leuchtende Sonne an Arthurs Firmament, daß sie Ceinwyns bleicheren Glanz bis zur Unsichtbarkeit überstrahlte, doch wie es schien, konnte die Erinnerung an die Prinzessin von Powys Arthurs Gewissen noch immer wie ein Stachel quälen. Genau wie ihn jetzt der Gedanke an Rataes Schicksal quälte.
»Vielleicht sollten wir ihnen eine Warnung zukommen lassen«, meinte er.
»Und die Geiseln opfern?« fragte Sagramor.
Arthur schüttelte den Kopf. »Ich werde mich an Balins und Lanvals Stelle als Geisel anbieten.«
Offensichtlich erwog er tatsächlich, das zu tun. Ich sah es ihm an. Der Schmerz der Reue nagte an ihm, und nun suchte er eine Möglichkeit, aus diesem Durcheinander von Gewissen und Pflicht herauszukommen, und sei es um den Preis des eigenen Lebens. »Merlin würde mich jetzt auslachen.«
»Ja«, bestätigte ich, »das würde er.« Merlins Gewissen, falls er überhaupt eins besaß, war für ihn lediglich ein Hinweis darauf, wie sich geringere Menschen verhalten würden, und diente ihm als Anreiz, genau das Gegenteil zu tun. Merlins Gewissen war ein Witz, der die Götter amüsieren sollte. Arthurs Gewissen war eine Bürde.
Jetzt starrte er auf den moosbewachsenen Boden im Schatten der Eiche. Der Tag neigte sich dem Ende zu, und Arthurs Stimmung versank in Schwermut. War er sich wirklich versucht, alles im Stich zu lassen? Zu Aelles Festung zu reiten und sein Leben für das Leben von Rataes Bewohnern hinzugeben? Ich glaube, das war er. Doch dann
überschwemmte die tückische Logik seines ehrgeizigen Verstandes seine Verzweiflung wie die Flut, die die Sandflächen vor Ynys Trebes überschwemmte. »Vor
einhundert Jahren«, sagte er langsam, »lebte dieses Land in Frieden. Und es gab Gerechtigkeit. Ein Mann konnte sein Land in dem glücklichen Bewußtsein roden, daß seine Enkel es noch beackern würden. Doch diese Enkel sind jetzt tot, ermordet von den Sachsen oder von ihren eigenen
Landsleuten. Wenn wir nichts dagegen tun, wird sich das Chaos verbreiten, bis nichts mehr übrig ist als diese überheblichen Sachsen mit ihren verrückten Zauberern. Wenn Gorfyddyd siegt, wird er Dumnonia seines Reichtums berauben, wenn ich aber siege, werde ich Powys wie einen Bruder umarmen. Ich hasse das, was wir tun, doch wenn wir es tun, können wir die Dinge wieder zurechtrücken.« Er blickte zu uns beiden auf. »Da wir alle zum Mithraskult gehören«, sagte er, »ist es zulässig, daß ihr Zeugen dieses Eides werdet, den ich ihm leiste.« Er hielt inne. Die Zeit hatte ihn gelehrt, Eide und ihre Verpflichtungen zu hassen; nach seinem Treffen mit Aelle war er jedoch in einer so verzweifelten Stimmung, daß er sich freiwillig mit einem weiteren Eid belastete. »Sucht mir einen Stein, Derfel«, befahl er mir.
Ich trat einen Stein aus dem Boden und befreite ihn von der Erde. Dann kratzte ich auf Arthurs Weisung mit der Spitze meines Messers Aelles Namen in den Stein. Arthur grub mit seinem eigenen Messer ein tiefes Loch in den Boden zu Füßen der Eiche und erhob sich. »Ich schwöre diesen Eid«, erklärte er. »Wenn ich den Kampf mit Gorfyddyd überlebe, werde ich für die unschuldigen Seelen von Ratae, die ich zum Untergang verurteilt habe, Rache nehmen. Ich werde Aelle töten. Ich werde ihn und seine Männer vernichten. Ich werde sie den Raben zum Fraß vorwerfen und ihren Reichtum an die Kinder von Ratae verteilen. Ihr seid meine Zeugen, und wenn ich diesen Eid breche, seid Ihr jeglicher Pflicht entbunden, die Ihr mir schuldet.« Damit warf er den Stein in das Loch, das wir zu dritt mit Erde auffüllten. »Mögen die Götter mir vergeben«, sagte Arthur, »daß ich den Tod so vieler Menschen verursacht habe.«
Dann zogen wir aus, den Tod noch weiterer Menschen herbeizuführen.
Der Marsch nach Gwent führte uns durch Corinium. Ailleann lebte noch immer dort, doch Arthur kam zwar mit seinen Söhnen zusammen, die Mutter aber empfing er nicht, damit kein Wort über ein solches Zusammentreffen Guinevere Schmerz zufüge. Allerdings schickte er mich mit einem Geschenk zu Ailleann. Sie begrüßte mich sehr freundlich, zuckte aber nur müde die Achseln, als sie Arthurs
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