Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
schon, als sich im Osten der erste, bleiche Schimmer stahlgrauen Lichts am regennassen Himmel zeigte, und führte meine fünfzig Speerkämpfer bis zum Waldrand hinab. Wir warteten oberhalb eines Grashangs, der sich nicht weniger steil auf den Talboden hinabsenkte als die Flanken von Ynys Wydryns Tor. Mein linker Arm lag fest in den Schildriemen, Hywelbane hing an meiner Seite, und mit der Rechten umklammerte ich meinen schweren Speer. Ein leichter Dunst zeigte sich dort, wo der Fluß das Tal verließ. Dicht neben den Bäumen strich eine weiße Eule vorbei, was meine Männer für ein böses Zeichen hielten, doch dann fauchte hinter uns eine Wildkatze, und Nimue behauptete, dadurch sei die unheilbringende Wirkung der Eule aufgehoben. Ich sprach ein Gebet zu Mithras, indem ich die nächsten Stunden seiner Glorie widmete. Dann erklärte ich meinen Männern, die Franken seien weitaus gefährlichere Feinde gewesen als diese verschlafenen Powysianer in dem Tal unter uns. Zwar zweifelte ich selbst an der Wahrheit meiner Worte, doch was die Männer unmittelbar vor der Schlacht brauchen, ist nicht die Wahrheit, sondern Zuversicht. Insgeheim hatte ich Issa und einem anderen Mann befohlen, sich in Nimues Nähe zu halten, denn wenn sie starb, würde sich die Zuversicht meiner Männer auflösen wie Sommerdunst, das war mir klar. Der Regen, der uns von hinten peitschte, machte den Grashang gefährlich glatt. Der Himmel über der anderen Talseite wurde heller und zeigte die ersten Schatten zwischen den dahinfliegenden Wolken. Die Welt war grau und schwarz, im Tal selbst noch nachtdunkel, am Waldrand jedoch etwas heller, ein Kontrast, der mich fürchten ließ, der Feind könne uns entdecken, während wir ihn nicht zu sehen vermochten. Die Feuer unten loderten noch immer, aber weitaus niedriger als während der finsteren, von Geistern heimgesuchten Nachtstunden. Wachtposten konnte ich nirgends entdecken. Es war Zeit aufzubrechen.
»Bewegt euch nur langsam«, befahl ich meinen Männern. Ich hatte mir einen wilden Sturm den Hang hinab vorgestellt, aber jetzt änderte ich meine Meinung. Das nasse Gras würde rutschig sein, deswegen entschied ich, daß es besser wäre, wenn wir langsam und lautlos wie Gespenster im
Morgengrauen den Hang hinabschlichen. Ich machte den Anfang und setzte die Füße immer vorsichtiger, je steiler der Hang wurde. Da sogar Nagelstiefel nur trügerischen Halt auf dem nassen Boden fanden, bewegten wir uns so langsam wie schleichende Katzen, und das lauteste Geräusch im Halbdunkel war unser Atem. Die Speere benutzten wir als Wanderstäbe. Zwei Mann stürzten so schwer, daß ihre Schilde klappernd gegen Schwertscheiden und Speere stießen, und jedesmal lauschten wir atemlos auf den Ruf der Wachen. Es blieb jedoch alles still.
Der letzte Teil des Hügels war der steilste, aber von der Kante dieses letzten Abhangs konnten wir endlich den gesamten Talboden sehen. Der Fluß eilte wie ein schwarzer Schatten an der gegenüberliegenden Talwand entlang, während die Römerstraße direkt unter uns zwischen einer Gruppe Strohdachhütten hindurchführte, in denen der Feind Zuflucht gesucht haben mußte. Nur vier Mann konnte ich ausmachen. Zwei kauerten bei den Feuern, ein dritter saß unter der Traufe einer Hütte, während der vierte hinter der Baumbarrikade auf und ab wanderte. Der östliche Himmel erwartete bleich das flammende Rot des Morgens, und es war an der Zeit, daß ich meine Wolfsruten-Speerkämpfer aufs Schlachtfeld führte.
»Mögen die Götter euer Schildwall sein«, sagte ich zu ihnen.
»Und gutes Töten!«
Gleich darauf stürzten wir uns die letzten Meter des Steilhangs hinunter. Manche Männer glitten auf ihrer Kehrseite bergab, statt auf den Füßen zu bleiben, andere rannten Hals über Kopf, und ich selbst als ihr Führer rannte mit ihnen. Die Angst verlieh uns Flügel und ließ uns lautes Kampfgebrüll anstimmen. Wir waren die Wölfe von Benoic, die in die Grenzhügel von Powys gekommen waren, um den Tod zu bringen, und plötzlich geschah, was in der Schlacht immer geschah: Die Begeisterung ergriff Besitz von uns. Jubelnde Freude flammte in unseren Seelen auf und löschte alle Hemmungen, jede Vernunft und allen Anstand aus, bis nur noch ungezähmte Kampfeslust in uns loderte. Mit einem einzigen Satz sprang ich die letzten paar Fuß hinab, stolperte durch die Himbeersträucher, trat einen leeren Eimer um und sah, wie der erste, völlig entgeisterte Mann aus einer nahen Hütte auftauchte. Er war in
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