Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
und sich am Speer des Mannes vor ihm festzuhalten. Cavan bildete die Nachhut, um sicherzustellen, daß niemand zurückblieb, während Nimue und ich die Spitze übernahmen. Sie hielt meine Hand - nicht etwa aus Zuneigung, sondern einfach, damit wir in dieser stockfinsteren Nacht zusammenblieben. Lugnasa schien jetzt wie ein Traum, hinweggefegt nicht von der Zeit, sondern von Nimues wilder Entschlossenheit zu leugnen, daß es die Stunden in der Laube jemals gegeben hatte. Wie die Monate, die sie auf der Toteninsel verbracht hatte, hatten auch jene gemeinsamen Stunden ihren Zweck erfüllt und waren nunmehr
bedeutungslos.
Wir kamen an ein Wäldchen. Ich zögerte, dann stiefelte ich einen steilen, schlammigen Abhang hinab und in eine Finsternis, die so undurchdringlich war, daß ich mich verzweifelt fragte, ob es mir je gelingen würde, fünfzig Mann durch dieses schwarze Loch zu bringen, doch dann begann Nimue mit leiser Stimme zu singen, und dieser Klang wirkte wie ein Leuchtfeuer, das meine Männer sicher durch die Dunkelheit führte. Beide Speerketten rissen, doch indem wir Nimues Stimme folgten, gelang es uns allen irgendwie, durch die Bäume zu stolpern. Wir kamen auf einer Wiese heraus, wo wir haltmachten. Cavan und ich zählten die Männer, während Nimue uns, Zaubersprüche zischelnd, in der Finsternis unermüdlich umkreiste.
Meine Stimmung, ohnehin durch Regen und Dunkelheit gedämpft, verschlechterte sich. Ich hatte geglaubt, mir eine genaue Vorstellung von dem Gelände unmittelbar nördlich vom Lager meiner Männer gemacht zu haben, doch die Mühen unseres Marsches hatten das Bild verzerrt. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wohin ich mich wenden sollte. Ich dachte, wir seien in Richtung Norden marschiert, doch ohne Sterne, die mich leiten konnten, und ohne den Mond, der meinen Weg beleuchtete, waren meine Ängste stärker als meine Entschlossenheit.
»Worauf wartest du?« Nimue war neben mich getreten und flüsterte mir die Frage ins Ohr.
Ich schwieg, weil ich nicht zugeben wollte, daß ich mich verirrt hatte. Oder vielleicht auch nicht zugeben wollte, daß ich mich fürchtete.
Nimue schien meine Hilflosigkeit zu spüren und übernahm das Kommando. »Wir haben eine lange Strecke offenes
Weideland vor uns«, erklärte sie meinen Männern. »Es wurde als Schafweide genutzt, aber die Schafe sind weitergezogen, also gibt es weder Schäfer noch Hunde, die uns entdecken könnten. Es geht bergauf, ist aber leicht zu bewältigen, solange wir zusammenbleiben. Am Ende der Weide werden wir auf einen Wald stoßen, wo wir auf den Tagesanbruch warten. Es ist nicht weit, und es ist nicht schwierig. Ich weiß, wir sind alle naß, und wir frieren, aber morgen werden wir uns an den Feuern unserer Feinde wärmen.« Sie sprach mit unerschütterlicher Zuversicht.
Ich glaube kaum, daß ich meine Männer durch jene naßkalte Nacht hätte führen können, aber Nimue konnte es. Sie behauptete, mit ihrem einen Auge im Dunkeln sehen zu können, wo unsere Augen nichts zu erkennen vermochten, und vielleicht stimmte das, aber vielleicht hatte sie ja auch nur eine bessere Vorstellung von diesem Gelände als ich. Wie dem auch sei, sie machte ihre Sache gut. Während der letzten Stunde marschierten wir an einer Felsschulter entlang, und plötzlich ließ es sich leichter gehen, denn wir hatten den westlichen Hügel oberhalb des Lugg Vale erreicht, und in der Dunkelheit unter uns brannten die Wachfeuer der Feinde. Ich konnte sogar die Barrikade aus gefällten Kiefern und das Glitzern des Lugg-Flusses dahinter sehen. Unten im Tal warfen die Männer riesige Holzklötze auf die Feuer, damit sie die Straße beleuchteten, auf der sich Angreifer von Süden her nähern konnten.
Als wir das Wäldchen erreichten, sanken wir erschöpft auf den nassen Boden. Einige von uns fielen in den irreführenden, traumerfüllten Halbschlummer, der gar kein Schlaf zu sein scheint und den Schläfer frierend, müde und steif macht, aber Nimue blieb wach, murmelte ihre Zaubersprüche und unterhielt sich mit den Männern, die nicht schlafen konnten. Es waren keine oberflächlichen Gespräche, denn Nimue hatte keine Zeit für seichtes Geplauder. Eifrig legte sie die Gründe für unseren Kampf dar. Wir kämpften nicht für Mordred, sagte sie, sondern für ein Britannien ohne fremde Menschen und fremde Ideen, und selbst die Christen unter meinen Männern hörten ihr zu.
Mit dem Angriff wartete ich nicht bis zum Tagesanbruch, sondern ich weckte die Schlafenden
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