Artus-Chroniken 3. Arthurs letzter Schwur
Arthur erhob sich und klopfte sich die Grashalme von der Hose. »Zeit fürs Abendessen«, sagte er. »Aber ich muß Euch warnen. Taliesin wird vermutlich ein extrem langweiliges Lied über Mynydd Baddon singen. Schlimmer sogar, es ist immer noch nicht fertig! Dauernd fügt er neue Verse hinzu. Guinevere behauptet, es sei ein Meisterwerk, und wenn sie das sagt, muß es wohl so sein. Aber warum muß ich es bei jeder Abendmahlzeit über mich ergehen lassen?«
Damals hörte ich Taliesin zum erstenmal singen und war begeistert. Es war, wie Guinevere später zu mir sagte, als holte er Sternenmusik auf die Erde herab. Er hatte eine erstaunlich reine Stimme und konnte einen Ton länger halten als jeder andere Barde, den ich jemals gehört hatte. Später erklärte er mir, daß er sich im Atmen übe, obwohl ich niemals gedacht hätte, daß man dazu Übung brauche, doch das bedeutete, daß er einen abklingenden Ton unendlich lange halten konnte, während er ihn bis zum hingehauchten Ersterben mit Akkorden seiner Harfe begleitete; andererseits konnte er ein ganzes Gemach mit seiner triumphierenden Stimme widerhallen und erbeben lassen, und ich schwöre, daß er für mich an jenem Sommerabend in Isca die Schlacht von Mynydd Baddon wieder zum Leben erweckte. Ich habe Taliesin sehr oft singen hören, und jedesmal lauschte ich ihm mit demselben ehrfürchtigen Staunen. Dennoch war er ein bescheidener Mensch. Er kannte seine große Macht und lebte bequem damit. Es freute ihn, Guinevere als Gönnerin zu haben, denn sie war großzügig, wußte seine Kunst zu schätzen und gestattete ihm, den Palast wochenlang zu verlassen. Als ich ihn fragte, wohin er sich während seiner Abwesenheit begebe, erzählte er mir, daß
es ihm Freude mache, durch die Berge und Täler zu ziehen und für das einfache Volk zu singen. »Und den Leuten nicht nur vorzusingen, sondern ihnen auch zuzuhören«, sagte er. »Ich mag alte Lieder. Manchmal erinnern sie sich nur noch an Bruchstücke davon; dann versuche ich ihnen zu helfen, das Ganze wiederherzustellen.« Es sei wichtig, sagte er, den Liedern der einfachen Leute zu lauschen, denn daraus lerne er, was ihnen gefiel, aber er wolle ihnen auch seine eigenen Lieder vorsingen. »Lords zu unterhalten, ist nicht schwer«, erklärte er,
»denn die wollen sich unterhalten lassen; ein Bauer aber braucht Schlaf dringender als Lieder, und wenn ich ihn wachhalten kann, dann weiß
ich, daß mein Lied gut ist.« Manchmal, erzählte er mir, singe er auch einfach nur für sich selbst. »Dann sitze ich unter den Sternen und singe«, vertraute er mir mit verlegenem Lächeln an.
»Könnt Ihr wirklich in die Zukunft sehen?« fragte ich ihn während dieses Gesprächs.
»Ich träume sie«, erwiderte er, als sei das nichts Besonderes. »In die Zukunft sehen, das ist, als spähe man durch einen Nebel, und das Ergebnis ist die Mühe kaum wert. Außerdem, Lord, weiß ich nie so recht, ob meine Visionen der Zukunft von den Göttern gesandt werden oder meinen eigenen Ängsten entspringen. Schließlich bin ich ja nur ein Barde.« Nach meiner Meinung versuchte er mir auszuweichen. Merlin hatte mir erzählt, daß Taliesin im Zölibat lebe, um sich die Gabe der Weissagungen zu erhalten, also muß er sie weit höher eingeschätzt haben, als er andeutete, setzte sie aber dennoch herab, damit die Menschen ihn nicht ständig danach fragten. Taliesin sah unsere Zukunft, glaube ich, bevor einer von uns auch nur eine Ahnung davon hatte, und wollte sie uns nicht verraten. Er war ein sehr diskreter Mensch.
»Nur ein Barde?« wiederholte ich fragend seine letzten Worte. »Die Leute sagen, daß Ihr der größte aller Barden seid.«
Meine Schmeichelei zurückweisend, schüttelte er den Kopf. »Nur ein Barde«, bestätigte er nachdrücklich, »obwohl ich tatsächlich die Ausbildung eines Druiden erhalten habe. In Cornovia habe ich bei Celafydd die Mysterien gelernt. Sieben Jahre und drei habe ich gelernt, und am allerletzten Tag, als ich den Druidenstab hätte nehmen können, verließ ich Celafydds Höhle und bezeichnete mich statt dessen als Barde.«
»Warum?«
»Weil ein Druide«, antwortete er nach einer längeren Pause,
»Verantwortung trägt, und die wollte ich nicht übernehmen. Ich beobachte gern, Lord Derfel, und erzähle Geschichten. Die Zeit ist eine Geschichte, und die würde ich gern erzählen, nicht gestalten. Merlin wollte diese Geschichte verändern und hat versagt. So hoch wage ich mein Ziel nicht zu stecken.«
»Hat Merlin
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