Ascalon – Das magische Pferd, Band 2: Ascalon – Das magische Pferd. Das Geheimnis der Maya (German Edition)
nicht.
Wenig später erreichte Muriel den Fuß des Hügels und erklomm die Steigung, die zu den Tempeln und Pyramiden hinaufführte. Sie gab sich große Mühe, so zu tun, als ob sie auf der Suche nach Meerschweinchen wäre, während sie auf ihr eigentliches Ziel zusteuerte: den Tempel des Priesterfürsten.
Die Sonne war längst aufgegangen. Die Luft hatte sich erwärmt und den Nebel in den Wald getrieben, wo er sich im Schatten zwischen den Bäumen versteckte.
Auf den Wegen und Plätzen zwischen den Gebäuden herrschte reges Treiben. Immer wieder begegnete Muriel Kriegern oder Priesterschülern, die wie sie einen Sack trugen und auszogen, um Opfertiere zu fangen, während die Priester an den unteren Stufen der großen Pyramiden bereits die erste Jagdbeute des Morgens im Empfang nahmen. Dabei beschränkten sich viele offensichtlich schon gar nicht mehr auf die Jagd nach Meerschweinchen oder Hunden, sondern trugen auch flatternde Truthähne zu den Tempeln.
Rings um den Ballspielplatz waren Frauen damit beschäftigt, die steinernen Stufen zu säubern und mit Blumen zu schmücken. Die Vorbereitungen für das Pok-ta-Pok-Spiel am nächsten Tag hatten begonnen.
Schließlich erreichte sie den großen Platz Tikals. Rechts und links von ihr ragten zwei gewaltige Stufenpyramiden in den Himmel, deren Treppen jeweils so zum Platz hin wiesen, als würden sie sich ansehen. Von den Gipfeln stieg schwarzer Rauch auf, ein Zeichen dafür, dass die Opferpriester ihr blutiges Werk unvermindert weiterführten. Zum Glück war mit der steigenden Sonne auch ein leichter Wind aufgekommen, der den Übelkeit erregenden Gestank der Opferungen und den allgegenwärtigen Geruch des Copalharzes davonwehte.
Muriel ging nun etwas langsamer.
Unmittelbar vor ihr, auf der anderen Seite des Platzes, lag ein ausgedehnter Gebäudekomplex, vor dem mehrere Krieger in kunstvoll gearbeiteten Federkleidern Wache standen – der Tempel des Ah Coyopa.
Zu beiden Seiten des Eingangs erhoben sich zwei übergroße in Stein gehauene und bunt bemalte Statuen, die, wie Chila ihr erzählt hatte, den großen Priesterfürsten Ah Coyopa selbst darstellen sollten. Die Figuren hockten im Schneidersitz und blickten unter einem großen Federkopfputz streng auf jene herab, die den Platz überquerten.
Zu Füßen der Statuen türmten sich Blumen, Früchte und Maiskolben. Opfergaben, die das einfache Volk dort abgelegt hatte, um dem sterbenskranken Priester die Ehre zu erweisen. Der Anblick brachte Muriel auf eine Idee. Sie verließ den Platz, huschte um eine der Stufenpyramiden herum und pflückte an einer Stelle, wo die Wachen sie nicht sehen konnten, einen kleinen Strauß wilder Blumen, die hier überall wuchsen. Dann versteckte sie den Sack unter einem Busch und ging mit den Blumen in der Hand wieder auf den Tempel zu.
Die schwarz-weißen Augen der Statuen schienen jeden ihrer Schritte zu verfolgen, als sie sich dem Tempel näherte, aber die Wachen bedachten sie nur mit einem kurzen Blick, als sie an ihnen vorbeiging. Offenbar waren sie es bereits gewohnt, dass die Einwohner Tikals zu den Statuen pilgerten, um für das Wohl ihres Fürsten zu beten und ihm kleine Gaben darzubringen.
Muriel ließ sich Zeit, die Blumen abzulegen. Von dem Platz aus konnte sie wunderbar ins Innere des Tempels blicken. Sie überlegte kurz, ob sie niederknien und ein Gebet vortäuschen sollte, aber sie wusste nicht, ob die Maya das so taten, und wollte keinen Fehler machen.
Ich hätte warten sollen, bis jemand hierherkommt, dachte sie und ärgerte sich, dass sie mal wieder überstürzt gehandelt hatte.
Aber sie hatte Glück. Eine alte Frau mit wirrem Haar und zerfurchtem Gesicht trat neben sie und legte den Statuen zwei Maiskolben zu Füßen. Dann kniete sie sich hin und senkte schweigend das Haupt, als spräche sie im Stillen ein kurzes Gebet.
Muriel tat es ihr gleich. Nun konnte sie ganz in Ruhe einen Blick ins Innere des Tempels werfen. Anders als das Gebäude der Priesterinnenschule war das Heim Ah Coyopas hell und geräumig. Die mit Kalkputz bedeckten Mauern waren sorgfältig poliert worden und glänzten silbrig im Licht der Morgensonne.
Die alte Frau neben ihr erhob sich und schlurfte davon.
Auch Muriel erhob sich. Weniger als fünf Schritte trennten sie von dem Eingang zum Palast, der einladend vor ihr lag. Drinnen hatte sie niemanden sehen können und die Wachen kehrten ihr den Rücken zu. Es schien so leicht, einfach hineinzuschlüpfen und hinter den Mauern nach der Kammer zu
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