Ascalon – Das magische Pferd, Band 2: Ascalon – Das magische Pferd. Das Geheimnis der Maya (German Edition)
Trompeten hallte durch den Dschungel und erinnerte sie daran, dass sie sich beeilen musste. Das Fest auf dem Ballspielplatz ging allmählich seinem Höhepunkt entgegen. Nicht mehr lange, dann würden die Spieler den Tempel des Priesterfürsten verlassen und in einer feierlichen Prozession zum Platz geführt werden.
Zaghaft machte sie ein paar Schritte, betrat den Raum und blieb erneut stehen. Im ersten Moment sah sie gar nichts. Die Dunkelheit schien vollkommen. Nach einer Weile jedoch gewöhnten sich ihre Augen an die schlechten Lichtverhältnisse und die Konturen der Einrichtungsgegenstände begannen sich langsam aus den Schatten hervorzuschälen. Tisch und Truhe standen so, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie musste nur noch hingehen, das Faltbüchlein an sich nehmen und damit zum Tempel laufen.
Mit einer gewaltigen Willensanstrengung gelang es Muriel, die Gedanken an Spinnen, Schlangen und anderes Getier zu verdrängen, das sich hier verstecken mochte. Sie atmete noch einmal tief durch, dann hastete sie zur Truhe. Etwas huschte krabbelnd davon, als sie den Truhendeckel berührte, etwas großes Schwarzes, das daraufgesessen hatte. Muriel unterdrückte einen Aufschrei und zog erschrocken die Hand zurück.
Beim zweiten Anlauf öffnete sie den Deckel mit einem Ruck und langte in die Truhe. Da sie nichts sehen konnte, musste sie sich auf ihren Tastsinn verlassen. Ihre Finger berührten Weiches und Hartes. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie zitterte, aber ihre Finger forschten weiter, tastend und suchend. Einmal drohte sie der Mut zu verlassen, als sie eine Berührung wie von dünnen Beinen auf dem Handrücken spürte. Aber sie biss die Zähne zusammen, setzte die Suche fort – und wurde belohnt.
Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, fand sie endlich, wonach sie suchte: das kleine Heftchen aus Rindenpapier. Ahaus ganzer Stolz.
Nun gab es kein Halten mehr. Muriel knallte den Truhendeckel zu und stürmte mit dem Faltbüchlein in der Hand ins Freie. Als der Eingang zehn Schritte hinter ihr lag, hielt sie an und lehnte sich mit dem Rücken an eine Wand. Ihr Herz hämmerte wie wild. Sie zitterte, hatte weiche Knie und fühlte sich außerstande, auch nur einen Schritt weiterzugehen.
Um sich abzulenken, betrachtete sie das kleine Dokument.
Ahau hatte zehn Blätter aus Rindenpapier mit farbenprächtigen Schriftzeichen bemalt. Die einzelnen Seiten waren von beiden Seiten mit einer dünnen Schicht überzogen, die sich wie Kalk anfühlte. Sie hingen mit dünnen, biegsamen Häutchen aneinander und waren so gefaltet, dass man sie wie eine Ziehharmonika auseinanderziehen konnte.
Ehrfürchtig betrachtete Muriel die kunstvolle Bilderschrift. Sie war wunderschön. Wie viel Zeit und Ausdauer mochte Ahau wohl dafür verwendet haben? Und das alles heimlich mit der ständigen Furcht, entdeckt zu werden.
Für einen Augenblick überkam Muriel ein schlechtes Gewissen, weil sie Ahau dieses Kunstwerk stahl, aber dann erinnerte sie sich an etwas, das Chila zu ihr gesagt hatte: » Stell dir mal vor, dass unsere Aufzeichnungen dann vielleicht noch in 1000 tun gelesen werden, ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? «
Muriel lächelte. Wenn das der Wunsch ihrer Freundinnen war, konnte sie ihnen behilflich sein. Ahau würde es zwar niemals erfahren, aber wenn ihr Plan gelang, würden Forscher in 1000 Jahren ihre Schriftzeichen entschlüsseln und die Botschaft lesen, die sie so mühsam zu Papier gebracht hatte.
Der Gedanke half Muriel über das schlechte Gewissen hinweg. Sie wollte sich gerade auf den Weg zum Tempel machen, als ihr einfiel, dass sie im Begriff war, etwas zu tun, das vielleicht die Zukunft verändern würde.
Wie wichtig war das Faltbuch für Ahaus weiteren Lebensweg? Was würde geschehen – oder nicht geschehen – wenn sie es nun stahl? Muriel biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Nur wenn sie das Faltbuch an sich nahm, konnte sie den Kodex fortnehmen, ohne die Zukunft zu verändern. Aber würde sie diese nicht auch verändern, wenn sie das Faltbuch mitnahm?
Muriel überlegte hin und her – und entschied sich schließlich zu handeln. Was Ahau und Cila hier taten, war geheim. Der Diebstahl würde sicher keine großen Folgen haben. Vermutlich würde Ahau damit beginnen, ein neues Faltbuch zu schreiben, das noch schöner war als das alte. Und sie würde mit dem neuen dasselbe erreichen, das sie auch mit dem alten erreicht hätte. Der Gedanke gefiel Muriel
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