Ascalon – Das magische Pferd, Band 3: Ascalon – Das magische Pferd. Der Schlüssel von Avalon
Göttin hätte tun können. Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. War es nicht schäbig, wenn sie gerade jetzt fortritt?
Ascalon schnaubte und stupste sie von hinten an. »Siehst du, er will auch zurück«, sagte die Göttin und unterstrich die Worte mit einer auffordernden Geste. »Nun macht schon.«
»Aber ...«
»Bitte geh!« Für den Bruchteil einer Sekunde wurde die Stimme der Göttin hart, dann fügte sie wieder freundlicher hinzu: »Ich fühle mich nicht gut und möchte mich ein wenig hinlegen.«
»Also gut.« Muriel straffte sich. »Aber sagen Sie nachher nicht, ich hätte Ihnen nicht geholfen.«
»Das werde ich nicht.« Die Göttin schüttelte lächelnd den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Du wirst sehen, wenn du das nächste Mal hierherkommst, bin ich topfit.«
»Das nächste Mal hierher ...?« Muriel horchte auf. »Heißt das, ich kann ... ich darf ... Ascalon und ich dürfen auch weiterhin für Sie ...?«
»... Aufträge übernehmen.« Die Göttin nickte.
»Dann bin ich nicht gefeuert?«
»Natürlich nicht.« Die Göttin schüttelte müde den Kopf und fügte hinzu: »So schnell wird man seine Pflicht als Schicksalswächterin nicht los.«
»Danke!« Muriel strahlte über das ganze Gesicht und schlang Ascalon die Arme um den Hals. »Hast du gehört? Wir bleiben zusammen«, freute sie sich. Aber dann wurde sie wieder ernst und sagte: »Ich werde meine Fähigkeiten auch nie wieder missbrauchen. Ehrenwort.«
»Das will ich hoffen.« Die Schicksalsgöttin kam näher und streichelte Ascalon. »Und nun reitet los. Ich habe euch schon viel zu lange aufgehalten.«
»Und Sie kommen wirklich allein klar?«, fragte Muriel besorgt.
»Schon seit einigen Tausend Jahren.«
»Na dann ...« Muriel schwang sich auf Ascalons Rücken. »Dann bleibt mir nur noch, Ihnen gute Besserung zu wünschen.«
»Das wird schon wieder.« Die Göttin seufzte und fügte hinzu: »Vielen Dank, Muriel, und ... bis zum nächsten Mal.«
»Wir werden da sein.« Muriel ließ Ascalon wenden. Augenblicklich trabte er an, verließ die Lichtung und bog auf den Waldweg ein, der sie nach Hause führen würde. Die Hütte blieb hinter ihnen zurück, während Ascalon immer schneller galoppierte und die Welt ringsumher ihre Konturen verlor. Irgendwann setzte er zum Sprung an ...
... und landete sanft auf der Wiese hinter dem Stall.
Zu Hause!
Muriel atmete tief durch. Die Luft roch frisch. Hellgrauer Dunst lag über der Wiese, während im Osten schon der neue Tag am Himmel heraufzog. Alles war genau so, wie in dem Augenblick, als sie den Birkenhof verlassen hatte.
Nero!
Der Gedanke an das tote Pferd durchzuckte Muriel wie ein Blitz. Sie musste sofort in den Stall und nachsehen, wie es ihm ging. Auch Ascalon hatte es eilig. Ohne die Gangart zu wechseln, preschte er auf das Tor zu und hielt erst kurz davor an. Muriel rutschte von seinem Rücken, riss die Tür auf und stürmte die Boxengasse entlang.
Das Erste, was ihr auffiel, war die Stille. Kein Schnauben drang ihr an die Ohren, kein Rascheln im Heu. Es war eine bedrückende Stille, die mehr war als nur die Abwesenheit von Geräuschen – die Stille des Todes. Muriel fröstelte und blieb stehen. Nur wenige Schritte trennten sie noch von Neros Box. Schritte, die sie nicht zu gehen wagte. Wie von selbst kamen ihr die schrecklichen Bilder in den Sinn. Bilder, die sie nie wieder vergessen würde.
Nero am Boden der Box. Mit starr geöffneten Augen – tot.
»Nein«, hauchte sie. »Nein. Das ... das darf nicht sein.« Tränen stiegen ihr in die Augen, als ihr bewusst wurde, was sie angerichtet hatte. Nur weil sie zurückgeritten war, hatte Vivien die Äpfel in den Futtertrog fallen lassen. Und dann war es ihr so schlecht gegangen, dass sie die Äpfel nicht mehr hatte fortnehmen können. Plötzlich erschienen ihr die Codices der Maya, der magische Schlüssel Avalons und alle anderen Geheimnisse dieser Welt unwichtig. Ganz gleich, wie oft sie noch den Helden spielen würde. Hier hatte sie jämmerlich versagt.
Muriel schluchzte auf und lief in die Box. Nero lag noch immer am Boden, so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. In einem Anflug von Verzweiflung schlang sie die Arme um seinen Hals und presste die Wange an das kalte Fell. »Verzeih mir«, flüsterte sie unter Tränen. »Oh Nero, verzeih mir. Das habe ich nicht gewollt.«
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als ein Zittern durch den Körper des Wallachs lief. Erschrocken löste Muriel die Umarmung und sprang zurück.
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