Ascalon – Das magische Pferd, Band 3: Ascalon – Das magische Pferd. Der Schlüssel von Avalon
Überrascht und verwirrt zugleich beobachtete sie, was geschah. Nero hob ruckartig den Kopf und begann zu würgen. Zweimal schnaubte und hustete er kräftig, dann spie er einen grünen Apfel auf den Boden der Box. Mit unsicheren Bewegungen, die an die ersten Schritte eines Fohlens erinnerten, kam er auf die Beine. Einen Augenblick stand er einfach nur so da. Dann schnaubte er, schüttelte die Mähne und wandte sich Muriel zu, die an der Wand der Box lehnte und vor Staunen keinen Ton hervorbrachte.
»Das ... das ist doch nicht möglich«, stammelte sie. »Das träume ich doch nur.« Sie war so verunsichert, dass sie nicht wagte sich zu rühren. Die Angst, dass alles nur Einbildung war, war einfach zu groß.
»Hey, Muriel, du bist aber schon früh auf.« Wie aus dem Nichts tauchte Vivien vor der Box auf. Wie an jedem Morgen galt ihr erster Besuch Nero, bevor sie in die Schule ging. Verwundert starrte sie erst das Pferd und dann ihre Schwester an. »Sag mal, was machst du denn hier? Wieso bist du in der Box? Ist etwas passiert?«
»Nein ... ähm, nein.« Muriel kickte den Apfel unauffällig in die leere Nachbarbox, räusperte sich und versuchte einen möglichst normalen Tonfall zu treffen, als sie hinzufügte: »Ich ... ich wollte nur mal nach Ascalon sehen. Da hab ich Nero auch gleich guten Morgen gesagt.«
»Na, das ist ja mal ganz was Neues.« Vivien grinste. »Sonst bleibst du immer bis zur letzten Minute im Bett liegen.«
»Ich habe nicht gut schlafen.«
»Ich auch nicht.« Vivien gähnte und schaute sich um. »Weißt du, ich wollte Nero gestern Abend noch seine Leckerli-Äpfel bringen. Aber dann habe ich mich hier im Stall fürchterlich erschrocken und die Äpfel fallen lassen. Die ganze Nacht habe ich mir Sorgen gemacht, dass Nero sie fressen könnte. Ich hatte sie noch nicht klein geschnitten und er hat doch nur noch so wenige Zähne.« Vivien lachte. »Aber wie es aussieht, ist alles gut gegangen.«
»Ja.« Muriel schluckte trocken und warf Nero, der sich gerade mit der Heuraufe beschäftigte, einen prüfenden Blick zu. »Da hast du aber Glück gehabt.«
»Stimmt.« Vivien streichelte Nero liebevoll über den breiten Nasenrücken. »Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ihm etwas passiert wäre.«
Die Ereignisse der Nacht beschäftigten Muriel noch den ganzen Tag bis in die Nacht hinein. Dabei war es weniger das Abenteuer in Camelot als die wundersame Rettung von Nero, die ihr nicht aus dem Kopf ging. Ein totes Pferd erwachte nicht einfach so wieder zum Leben, so viel war klar. Konnte es denn sein, dass sie sich getäuscht hatte? Hatte sie vielleicht etwas übersehen, als sie glaubte Nero sei tot? Je länger Muriel darüber nachdachte, desto mehr zweifelte sie an ihrem Urteilsvermögen. Natürlich war sie überglücklich, dass alles so ein gutes Ende genommen hatte, aber die Frage, wie es dazu gekommen war, ließ ihr keine Ruhe. Auch nicht, als sie sich abends ins Bett legte und die Augen schloss ...
... Sie sah sich in den Stall gehen. Sie konnte die Stille im Stall nicht hören, spürte aber fast überdeutlich, dass etwas nicht stimmte. Als sie in Neros Box schaute, bot sich ihr derselbe furchtbare Anblick, der sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt hatte und den sie nie würde vergessen können. Die verrenkten Glieder, das offene Maul und die weit aufgerissenen Augen ... Nero war tot, daran gab es keinen Zweifel.
Muriel spürte Trauer und Verzweiflung wie eine dunkle Woge in sich aufsteigen. Doch diesmal lief sie nicht fort, um Ascalon um Hilfe zu bitten. Sie blieb einfach stehen und schaute in die Box.
Die Zeit verrann. Muriel sah Vivien, die lachend auf Nero ritt. Mal an der Longe in der Halle, dann wieder im Wald oder auf den Feldern. Doch ganz gleich wo sie ritt, immer strahlte Vivien vor Glück ...
Ein scharfer Schnitt brachte Muriel in den Stall zurück. Im ersten Augenblick glaubte sie, es hätte sich nichts verändert, aber dann spürte sie es. Die Luft war erfüllt von einem elektrischen Knistern, das auf der Haut prickelte. Muriel fürchtete sich, konnte aber nicht fort. Etwas hielt sie zurück.
Und dann sah sie es: Eine wundersame Lichtgestalt, die nur entfernt etwas Menschliches an sich hatte, schwebte, ganz in einen Mantel aus knisternden Blitzen gehüllt, zu Neros Box. Die Bewegungen wirkten schwerfällig, ganz so, als müsse sie um jeden Meter kämpfen. Muriel sah, wie sie sich bückte und niederkniete. Aus dem Lichtmantel löste sich eine leuchtende Hand und legte sich auf
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