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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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wieder den Anblick des Blutmannes ins Gedächtnis: den Mantel, die Maske, das Schwert. Sie wusste nicht, warum, aber irgendetwas irritierte sie an diesem Bild, ohne dass sie ergründen konnte, was es genau war.
    Sie musste wohl doch eingenickt sein, denn sie erwachte davon, dass Anzejs Hand ihr sanft über das Haar strich.
    »Ich habe uns beiden Kleidung besorgt. Nichts, womit man tanzen gehen kann. Aber zumindest sind die Sachen wetterfest und warm. Hier, iss etwas!«
    Er hielt ihr eine Schüssel hin, in der dampfende glasige Fleischbrocken in einer dichten Brühe dümpelten. Ein seltsam stechender Geruch ging davon aus.
    »Alte Fischsuppe?«, murmelte Summer und rümpfte die Nase.
    »Nein, Haifleisch riecht immer so.«
    »Haie? Im Graumeer?«
    Anzej nickte. »Der hier wurde gestern gefangen. Dem Schiff folgt eine ganze Gruppe von ihnen. Vorhin haben sie wieder einen mit einem Köder angelockt. Hängt jetzt oben an Deck und wird gerade zerlegt, ist mindestens vier Meter lang. Die Angelleine war so dick wie ein Seil - und trotzdem haben sie es kaum geschafft, das Monster aus dem Wasser zu ziehen.«
    Summer starrte die Brocken in der Schüssel an, als könnten sie ihr jeden Moment ins Gesicht springen.

    »Keine Angst«, sagte Anzej beruhigend. »Hier unten in der Kabine sind wir sicher. Am besten, wir bleiben hier und lassen uns nicht an Bord blicken.«
    Summer schwieg. Sie wusste nicht, wann es genau geschehen war, aber irgendwann zwischen Gestern und Heute hatte das fragile Gebäude ihrer Freundschaft einen Riss bekommen. Während sie von den Fleischbrocken kostete, die überraschenderweise würzig und zart waren, ertappte sie sich dabei, wie sie Anzejs Bericht über das Treiben an Deck zwar lauschte, ihn dabei jedoch verstohlen beobachtete. Wie sehr du dich verändert hast , dachte sie. Nichts erinnerte mehr an den unbeholfenen Mann, den sie im Hochhaus getroffen hatte.
    Als hätte er ihr Misstrauen gespürt, hielt er im Erzählen inne und musterte sie besorgt. Sanft strich er ihr mit der rechten Hand über die Stirn. Summer schloss die Augen und spürte die kühlen Finger auf ihrer Haut. Die Sehnsucht danach, dass alles wieder so wäre wie zuvor, dass sie ihm bedingungslos vertraute und sie zueinander gehörten, gab ihr einen kleinen, heißen Stich. Seine Hand verharrte.
    »Du … fieberst ja!«, sagte er verwundert.

    Kein Traumbild verfolgte sie, und der Übergang vom Schlaf zum Wachen war abrupt wie ein Sprung von einer Schwärze in eine andere. Die Lampen waren erloschen, und einen schreckerfüllten Augenblick war Summer überzeugt, dass sie in einem Sarg auf dem Grund des Meeres lag - für immer das ganze Gewicht des Ozeans auf ihrer Brust. Doch dann hörte sie Anzejs tiefen Atem neben sich und spürte seinen Arm, der quer über ihrer Taille lag.
Gemeinsam lagen sie in der oberen Koje. Wie lange hatten sie geschlafen? Und wann genau war sie eingeschlafen? Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war die kühle Berührung an ihrer Stirn und an Hitzeschauer wie von Schüttelfrost.
    Jetzt war sie hellwach, das Fieber war verschwunden, und dennoch fühlte sie an Schultern und Rücken immer noch so etwas wie Fieberhitze. Das Schlimmste aber war das Geräusch des Wassers. Das Meer war unruhiger, das Schiff hob und senkte sich stärker. Und da die Kabine unter der Wasserlinie tief in den Eingeweiden des Schiffes lag, drang ein Gurgeln und Rauschen durch das Holz, das an den Wasseratem von Meeresungeheuern erinnerte. Summer sah sie unwillkürlich vor sich: gewaltige Fische, Chimären wie aus Morts Menagerie, halb Hai, halb Muräne, die dem Schiff in Scharen folgten und am Kiel entlangstrichen, Kraken, deren Tentakel suchend über den Schiffsrumpf tasteten.
    Sie schnappte nach Luft und setzte sich auf. Angespannt tastete sie in der Dunkelheit nach Bildern, eine Erinnerung war ganz nah, aber sie fand den Zugang nicht. Alles, was sie spürte, war das Wissen um einen fernen Schrecken. Angst und Wut, die sie irgendwann einmal empfunden hatte.
    Anzej seufzte und murmelte etwas, sein Arm zuckte im Traum. Die Verlockung, ihn zu berühren, ihre Stirn in seine Halsbeuge zu schmiegen und sich in diesen Nebel der Geborgenheit fallen zu lassen, war groß. Doch ihr widerspenstiges Herz begann schneller zu schlagen, als sie die Hand auf Anzejs Hand legen wollte. Sie verharrte.
    »Er darf uns nicht sehen!«
    Summer zuckte zusammen. Das Flüstern war direkt an ihrem Ohr. Doch es war nicht Anzej, es war eine Stimme aus der

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