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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Dort drückte sie sich mit dem Rücken an die hölzerne Wand eines Aufbaus. Die Musik war nun ganz nah, sie konnte Stimmen hören und spürte schon die raue Fröhlichkeit. Ein Lied drängte sich in ihre Gedanken. Töne, die etwas mit ihr zu tun hatten: Liebte dich körperlos, dein Lachen, dein Haar …
    Und diesmal wusste sie, dass sie diese Strophen nie wieder verlieren würde. Das Lied wurde für mich gesungen! , dachte sie. Ich muss Anzej erzählen …
    Doch da wurde ihr plötzlich klar, warum sie alleine hier draußen stand. Weil ihre Erinnerungen ihr gehörten. Weil sie ein Schatz waren, den sie hüten musste. Weil Anzej ihn mir sonst stiehlt?
    »Na, ein guter Matrose kannst du ja nicht sein, wenn du dich bei den paar Wellen schon ins Holz krallst wie eine Katze.« Die Männerstimme ertönte links von ihr und ließ sie überrascht zusammenfahren. Doch in der nächsten Sekunde fand sie sich schon in ihrer Rolle ein.
    »Ich bin keine vom Schiff. Ich sehe nur so aus. In meinen eigenen Sachen würde ich hier erfrieren, also habe ich ein paar Münzen für Jacke und Mütze springen lassen.«
    »Hm, vielleicht hättest du noch ein paar weitere für Schuhe ausgeben sollen.«

    Summer überwand sich dazu, den Blick vom Boden zu heben.
    Im Licht einer Laterne erkannte sie einen riesenhaften Soldaten, der sich mit einer Hand an einem straff gespannten Seil abstützte, um die Bewegungen des Schiffes auszubalancieren. Erinnerte Anzej an eine fein gearbeitete Skulptur, erschien dieser Mann hier wie mit der Axt aus Holz gehauen. Nicht, dass er hässlich gewesen wäre. Im Gegenteil. Er hatte hohe Wangenknochen, kurzes, glattes Haar, so dicht, dass es an Pantherfell erinnerte, und dunkle, leicht schräge Drachenaugen, deren scharfer Blick fast auf der Haut brannte. Rasch erfasste Summer auch den Rest seiner Erscheinung: eine Uniformweste aus braunem Leder - und die Tatsache, dass er trotz des schneidenden Windes weder Hemd noch Mantel trug und dennoch nicht zu frieren schien. Seine Arme trugen alte Narben und auf seinem rechten Unterarm prangte das Lindenblatt. Seiner Haltung nach zu urteilen war er jedoch kein einfacher Soldat. Da er höchstens Mitte zwanzig sein konnte, die Tätowierung aber bereits verblasste, war er offenbar schon in sehr jungen Jahren zu Lord Teremes’ Armee gekommen.
    »Bist du einer der Freiwilligen?«, wollte er nun von Summer wissen. »Die haben hier vorne nämlich nichts verloren.«
    Es klang nicht unfreundlich, Summer hatte eher den Eindruck, dass sie ihn neugierig machte. Sie hob die Hand und zeigte ihm ihren unversehrten Unterarm. »Passagier«, erwiderte sie knapp. »Und zwar einer, der jetzt tausendmal lieber an Land wäre.«
    Der Soldat überbrückte die Distanz zur Reling mit einem einzigen langen Schritt und blickte zu den anderen Schiffen hinüber. »Kann ich verdammt gut verstehen«, sagte er aus vollem Herzen zu den Wellen. »Ist kein Spaß hier. Ein kleiner Sturm genügt und das Meer wird zu einer Wasserfaust, die das Schiff zerquetschen kann. Wie heißt du?«

    Summer drückte sich fester gegen die Wand. »Taja«, erwiderte sie mit schwacher Stimme und versuchte dabei, nicht darüber nachzudenken, ob die Wolken auf Sturm hindeuteten. Der in Fetzen zerrissene Wolkenhimmel bildete die Kulisse für ein besonderes Schauspiel. Wie Geisterschiffe glitten die Frachter durch das Wasser. Alle vier fuhren in lockerer Formation. Das Leuchten der Laternen setzte Kronen aus Licht auf die Wellen. Als der Wind leicht drehte, trieben Rufe von den anderen Schiffen herüber und vermischten sich mit dem Wellenschlag und dem Wind zu einem vielstimmigen Sirenengesang.
    »Und woher kommst du?«, fragte der Soldat, ohne sich nach ihr umzusehen.
    »Hört man das nicht? Südland. Genauer gesagt aus Beleter. Ist eines der Dörfer am Her-Pass.« Sie bemühte sich, Blissas Tonfall und Aussprache genau zu imitieren.
    Der Riese pfiff leise durch die Zähne. »Ganz schönes Stück von hier. Was treibt dich so weit weg von zu Hause, Taja?«
    »Wenn ich sage, eine verlorene Wette, glaubst du mir nicht, stimmt’s? Aber hör mal, ich bin keiner deiner Söldner, der dir Rede und Antwort stehen muss. Ich habe dir gesagt, wer ich bin. Jetzt bist du an der Reihe.«
    Das Schnauben konnte so etwas wie ein Lachen sein. »Farrin Okland«, antwortete er. »Für dich natürlich nur Farrin.«
    »Und woher kommst du?«
    »Hört man das nicht?«, sagte er mit demselben herausfordernden Tonfall wie sie. »Du nimmst mich auf den Arm,

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