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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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nicht!«
    »Wirklich nicht? Ich dachte - weil dein Haar so kurz ist. Sie schneiden uns allen die Haare, bevor wir das Zeichen bekommen.«
    Summer sah sich um. Jetzt bekam der Auflauf an Deck einen Sinn. Den Rekruten, die in Gruppen warteten, wurden einem nach dem anderen erst die Haare geschnitten, bevor sie zu den Männern traten, die mit Nadeln und Rußfarbe jedem Neuling das Zeichen in die Haut stachen.
    Das Mädchen deutete auf Summers Jacke. »Ach so, dann bist du eine vom Schiff! Hätte ich mir ja denken können.«

    Summer blickte an sich hinab. In der dunklen Kabine hatte sie nur in aller Eile die Kleidungsstücke ertastet, die Anzej mitgebracht hatte. Wahllos hatte sie einen grob gestrickten Pullover aus dem Stapel gezerrt, Hosen - und eine hüftlange Jacke.
    Jetzt sah sie die neue Kleidung bei Licht. Man hätte sie tatsächlich für einen Matrosen halten können. An der blauen Jacke aus gewachstem Stoff waren viele Verschlüsse und Taschen angebracht. Aus einer davon ragte ein Wollzipfel, und als sie daran zog, entpuppte er sich als hellblaue Mütze.
    Das Mädchen musterte Summer immer noch so interessiert, als würde es auf eine Antwort warten. Es hatte wasserblaue Augen, die so klar waren, als hätten sie noch nie im Leben Leid oder Schrecken gesehen. Und dennoch spiegelte sich darin auch Härte. Was hast du erlebt, dass du dich nun an einen Krieg verkaufst? , hätte Summer sie am liebsten gefragt. Weißt du, was du tust? Weißt du, wie es ist, grausam zu sein, zu leiden und zu sterben?
    »Du stammst aus meiner Gegend, nicht wahr?«, sagte das Mädchen.
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Hört man doch. Südländer bleibt Südländer. Uns hat es beide ganz schön weit weg von zu Hause verschlagen.«
    Südland? Summer versteifte sich. Was, wenn sie recht hatte? Doch dann machte sie sich bewusst, dass sie in jedem Gespräch ganz ohne nachzudenken die Sprachmelodie und Aussprache ihres Gegenübers annahm. Bis auf Anzej , dachte sie. Da ist es umgekehrt. Und aus irgendeinem Grund behagte ihr dieser Gedanke heute gar nicht.
    »Sag, bist du aus Beleter?«, bohrte das Mädchen weiter. »Oder aus einem der anderen Dörfer am Her-Pass?«

    »Blissa Tomlin!«, rief jemand, und das Mädchen zuckte zusammen und warf einen gehetzten Blick über die Schulter.
    »Hier!«, rief sie. »Ich muss wieder zu den anderen«, flüsterte sie dann Summer verschwörerisch zu. »Schön, dich getroffen zu haben. Vielleicht sehen wir uns ja noch. Und wenn nicht, viel Glück bei allem, was du tust!«
    Das kam so offen und von Herzen, dass Summer sprachlos war. Plötzlich spürte sie, wie sehr sie das in den vergangenen Wochen vermisst hatte: Sich nicht vor den Menschen zu verbergen, sondern inmitten von ihnen zu sein, mit ihnen zu reden, ihre Leben zu spüren, ihren Herzschlag, sogar ihre Dummheiten.
    »Blissa?«, rief sie leise, und das Mädchen, das schon weitergeeilt war, blieb stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um. »Warum tust du das?«
    Blissa runzelte verwundert die Stirn, aber dann glitt ein Lächeln des Verstehens über ihr Gesicht. »Ach so, du meinst das Zeichen?«, meinte sie und hob den Arm. Und noch bevor Summer ihr erklären konnte, dass sie ganz sicher nicht die Tätowierung gemeint hatte, erklärte sie: »Die Soldaten der schwarzen Fürstin haben auch eines. Eine Lilie aus weißer Asche. Sie besitzt Zauberkräfte. Jeder, der sie trägt, kann nur noch dem Willen der Fürstin gehorchen. Lord Teremes’ Zeichen schützt uns vor ihrer Magie.«
    Dann war sie schon in der Menge verschwunden. Summer blickte ihr mit einem flauen Gefühl nach. Ein Lilienbild mit Zauberkraft?
    Plötzlich war der Krieg ihr viel zu nah und drohte ihre Erinnerung zu verdrängen. Doch immer noch erklang vom vorderen Teil des Schiffes diese fremdartige, windverwehte Musik, die sie unwiderstehlich anzog wie ein helles Licht einen Nachtfalter.
    Sie setzte sich die Mütze auf und machte sich mit unsicheren
Schritten auf den Weg. Viele Möglichkeiten gab es nicht: Der einzige Weg zwischen Heck und Bug führte am Rand des Decks erschreckend nah am Wasser vorbei. Hier, im mittleren Teil des Schiffes, trennten nur Sicherungsseile diesen Gang vom Meer. Erst viel weiter vorne säumte eine hölzerne Reling das Vorderdeck. Summer hangelte sich weiter und vermied es, aufs Wasser zu schauen. Sie unterdrückte einen erschrockenen Aufschrei, als das Schiff in ein Wellental absackte, und erreichte mit dem hohlen Gefühl des Fallens im Magen das Vorderdeck.

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