Ascheherz
nicht wahr?« Er drehte sich zu ihr um und stand nun scheinbar lässig mit dem Rücken an die hölzerne Reling gelehnt da, doch Summer bemerkte sehr wohl, wie angespannt er war. Einen Moment lang war sie verunsichert. Sollte sie raten, woher er kam? Seltsam, in
Maymara und in anderen Städten hatte sie die Dialekte der Menschen meistens gut erkannt. Bei ihm dagegen hörte sie nichts Ungewöhnliches heraus. »So wie du mein Truppenzeichen anstarrst, weißt du längst, dass ich zu Lord Teremes’ Armee gehöre«, fügte er hinzu.
Nordländer also!
»Und als Nordländer bist du nicht gerne auf dem Meer?«, fragte sie auf gut Glück. »So wie du die Reling umklammerst, könnte man meinen, du hättest Angst, dass dir jeden Moment ein Fisch in den Kragen springt.«
Wieder blitzten die Drachenaugen amüsiert auf, obwohl sein ernstes Gesicht keine Regung zeigte.
»So scharfe Augen, ja? Aber wenn einer von uns beiden gerade in Gefahr ist, ein paar Haizähne in den Nacken zu bekommen, dann bist das eindeutig du.«
Es kostete ihn offensichtlich Überwindung, eine Hand von der Reling zu lösen. Dann zeigte er auf eine Stelle über Summers Kopf. Sie blickte hoch - und keuchte auf. In einer Sekunde blickte sie noch auf die Reihen scharfer, dreieckiger Zähne, in der nächsten stand sie mit weichen Knien an der Reling und starrte auf den riesigen Haikopf. Er war wie eine Trophäe an die Holzwand genagelt worden und schien hämisch zu grinsen. Jetzt erst erfasste sie die ganze Szenerie: Genau an dieser Stelle hatte man den Raubfisch, der heute gefangen worden war, zerteilt. In zwei gut befestigten Fässern dümpelten Fleischstücke in einer schwappenden Brühe, damit sie genießbar wurden. Aus einem Fass ragte die Spitze einer Schwanzflosse und bewegte sich bei jedem Rollen des Schiffes hin und her, als sei noch Leben in ihr. Dieser Anblick schlug Summer endgültig auf den Magen.
»Du bist wirklich kein Matrose«, stellte Farrin beim Blick auf
ihr kreidebleiches Gesicht fest. »Einen Augenblick dachte ich ja, du erzählst mir Geschichten.«
»Einen Augenblick dachte ich, du seist nett!«
Er überraschte sie damit, dass er plötzlich in Gelächter ausbrach - es war ein ungestümes, tiefes Lachen, das ansteckend wirkte. »Du siehst aus, als könntest du einen Wein vertragen«, meinte er versöhnlich. »Das bin ich dir auf den Schreck wohl schuldig. Komm mit!«
Das erhöhte Vorderdeck gehörte den Matrosen, doch in einem kleinen abgeteilten Bereich logierten zwischen Tauwinden und einer hölzernen Plattform auch einige Offiziere und ganz gewöhnliche Passagiere. Kaufleute vielleicht oder Reisende, die in ihre Heimat zurückkehrten. Ein Matrose, der sich an einem Tau zu schaffen machte, stutzte kurz, als er Summers Kleidung sah, arbeitete dann jedoch schweigend weiter. Farrin steuerte auf eine Gruppe von Offizieren zu, die auf dem Boden sitzend Karten spielten. Summer suchte sofort nach dem Musikanten und entdeckte ihn in der Nähe der Reling, wo er auf einem geschnürten Bündel saß, das vermutlich sein ganzes Gepäck darstellte. Es war ein alter Mann mit schneeweißem Haar und einer Haut so dunkel wie Wurzelholz. Staunend sah Summer, dass sein Instrument nichts weiter war als ein länglicher Kasten, über den vier Saiten gespannt waren. Sie endeten im hölzernen Maul eines geschnitzten Pferdekopfes. Wie konnte er daraus diese klaren Töne hervorlocken? Zu ihrer maßlosen Enttäuschung hörte er in diesem Moment auf zu spielen und blickte aufs Meer hinaus.
»Was will die denn hier?«, brummte eine Kartenspielerin, ohne
aufzublicken. Die Tätowierung an ihrem Arm zeigte kein Lindenblatt, sondern eine Schlange, die sich um einen Sichelmond wand.
»Passagier«, sagte Farrin knapp. »Gehört zu mir.«
Die Frau schnaubte verächtlich und warf eine Karte in die Mitte. Schon war sie wieder ins Spiel versunken.
Farrin beugte sich zu ihr - gerade weit genug, dass Summer sich nicht unbehaglich fühlte.
»Nimm’s nicht persönlich«, raunte er ihr zu. »Geschlossene Gesellschaft unter uns Offizieren.«
»Weil keiner mitbekommen soll, dass ihr auch nur Karten spielt wie alle anderen?«
Farrin grinste und holte eine dickbauchige Flasche. Im Schein der Laternen glomm die Flüssigkeit darin wie ein rotes Juwel. Farrin drückte Summer einen Becher in die Hand und schenkte ein.
»Nun, dann trinken wir wohl auf das Meer.« Er hob den Becher. »Und darauf, dass wir beide bald wieder auf festem Boden stehen.«
»Ich trinke auf das
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