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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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und über den Himmel getragen. Wölfe, so groß wie Pferde, Raubkatzen, die Menschenstimmen imitieren, um ihre Beute anzulocken. Grüne Flüsse aus Kristall, Berge, schwer von Goldadern und Diamanten. Gewaltige Wälder - und natürlich die Tierläufer. Das sind Menschen mit der Doppelnatur von wilden Tieren, gefährliche Krieger, die im Verborgenen leben. Um sie einzufangen, musste er seine ganze List einsetzen. Schließlich fand er auch noch Bäume, die nur im Winter blühen. All das nahm er den anderen Ländern und brachte es weit in den Norden. Dort hortete er seine Schätze und formte daraus unser Land.«
    »Tierläufer«, wiederholte sie nachdenklich. »Bäume, die im Winter blühen.« Und zögernd fügte sie hinzu: »Blaue Blüten, die an Sterne erinnern; und die Früchte, die Ende Februar geerntet werden, sind klein wie Trauben. Ihr Fleisch ist ebenfalls blau und schmilzt auf der Zunge wie süßer Schnee …«
    Erinnere ich mich? Summer schluckte und starrte in den Spiegel ihres Weins. Oder hat Anzej mir das erzählt? Oder Finn? Oder Mia?
    Farrin strahlte. »Und jeder Reisende oder Gesandte zahlt ein Vermögen für Samen und Setzlinge. Und begreift nicht, dass dieser Baum nur bei uns gedeiht. Wenn ihr bis zum Winter bleibt, dann solltest du die Früchte kosten, Taja. Du wirst staunen.«
    »Ich … werde sie kosten. Erzählst du mir noch mehr? Ich …
weiß so wenig über das Land. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, wie das Nordland auf einer Landkarte aussieht.«
    Diese Offenheit schien ihn zu entwaffnen und gleichzeitig zu erstaunen. Er runzelte wieder zweifelnd die Stirn, doch dann setzte er sich auf den Boden und schüttete zu Summers Überraschung einen Schluck Wein auf die Planken. Als er sie mit einer Geste aufforderte, sich ebenfalls zu setzen, kniete sie sich neben ihn. »Stell dir vor, dass das ganze Land so ähnlich aussieht wie der Fußabdruck eines Menschen, der nur vier Zehen hat. Na ja, oben vielleicht eher wie der Abdruck einer Echsenklaue - mit spitzen Krallen statt Zehen.« Mit dem Finger strich er durch die Flüssigkeit, bis die Pfütze eine Form annahm, den Umriss eines zerklüfteten Landes, das tatsächlich entfernt an einen Fußabdruck erinnerte. »Unten, am Bogen der Ferse, liegt der Kreidehafen. Fährt man allerdings weiter, an der Außenkante des Fußes entlang, auf halber Strecke zum kleinen Zeh, dann landet man in einem kleineren Hafen, vor der Stadt Kars. Hier verläuft die äußerste Grenze von Lord Teremes’ Reich. Und genau in der Mitte des Fußes, da liegt meine Heimat, Balin. Wie du siehst, weit weg vom Meer.«
    »Und die Zitadelle?«, fragte Summer.
    »Nicht einmal das weißt du?« Farrin deutete mit dem Zeigefinger an die nördlichste Stelle, die Spitze der größten Kralle.
    »Toljan ist eine Halbinsel?«, entfuhr es Summer. Ihre Laune sank auf der Stelle. Hatte Anzej ihr mit Absicht verschwiegen, dass sie durch das ganze Land reisen sollten? Natürlich? Was denkst du denn? Dass ein Dieb die Wahrheit sagt? Heute klang die Stimme der neun Leben hämisch.
    Farrin nickte. »Die größte Halbinsel. Das letzte Königreich. König Beras verwaltete den gesamten nördlichsten Teil des Landes,
also ganz Toljan. Seine weiße Zitadelle war das Symbol der Unbesiegbarkeit. Hochhäuser mit Mauern, die so glatt sind, dass sich das Meer in ihnen spiegelt, umgeben von Steilwänden, die auf ihrer Rückseite bis ins Meer abfallen. Rund um Toljan ist das Meer ein Kessel voller Klippen, Strudel und Untiefen. Und unzähligen Klippen, die wie Haizähne aus dem Wasser ragen. Deshalb nennen manche die Halbinsel auch ›Haimaul‹. Es ist so gut wie unmöglich, die Zitadelle von der Seeseite einzunehmen.«
    »Nun, der schwarzen Lady ist es trotzdem gelungen«, bemerkte Summer.
    Farrins Gesicht verdüsterte sich. Er stürzte den restlichen Wein hinunter und stellte den Becher so hart auf dem Boden ab, dass es klackte.
    »Eine Freiwillige hat die Raubfürstin so genannt«, setzte Summer vorsichtig hinzu. »Ganz Anakand fürchtet sich vor ihr. Von Kneipe zu Kneipe werden die Geschichten um sie abenteuerlicher. Man sagt, sie hat in einigen Lords starke Verbündete gefunden.«
    Farrin schnaubte. »Zu viele«, murmelte er.
    Summer hoffte, er würde ihr noch mehr verraten, aber der junge Offizier schwieg.
    »Stimmt es, dass sie vielleicht gar nicht existiert?«, fragte sie. »Dass sie nur ein Schauermärchen ist, weil nichts erschreckender ist als ein unsichtbarer Feind?«
    Im Zwielicht des beginnenden

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