Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
Morgens sah sie, dass seine Augen den bernsteinfarbenen Ton von Raubtieraugen hatten. Sie waren umschattet, als hätte Farrin, der Krieger, viele durchwachte Nächte hinter sich.
    »Besser, du glaubst an sie«, knurrte er. »Und überleg dir gut, auf welcher Seite du stehst, wenn du ihr begegnest.«
    Summer fröstelte. Es war zu nah, so, als hätte sie mit ihren Fragen
den sicheren Grund einer harmlosen Unterhaltung verlassen. Nun balancierte sie auf einem schmalen Grat zwischen Misstrauen und Freundschaft. Sein Blick war so durchdringend, dass sie nicht wagte, wegzusehen.
    »Was willst du damit sagen?«, fragte sie leise.
    »Dass wir unseren Feind kennen«, erwiderte er. »Viel zu gut sogar. Dass wir jeden Mann und jede Frau brauchen können. Denn wir müssen sie besiegen. Und danach wird nichts so sein wie zuvor. Nichts, Taja.«
    »Willst du mich anwerben? Und mich überreden, mir das Lindenblatt in den Arm stechen zu lassen? Damit ich an Zauberei glaube und nicht denke, dass das Lindenblatt nur dazu dient, die eigenen Toten auf dem Schlachtfeld wiederzufinden?« Noch während sie den Satz aussprach, spürte sie, dass sie einen Schritt zu weit gegangen war. »Ich verstehe nicht viel davon«, lenkte sie ein. »Wie gesagt, für mich ist es nur eine kurze Reise. Und ganz sicher werde ich mich dabei nicht auf irgendeine Seite stellen.«
    »Noch nicht, Taja«, erwiderte Farrin düster. »Aber solltest du je in Schwierigkeiten geraten, dann erinnere dich an meine Worte. Und flieh, solange du noch kannst.«
    Summer versuchte sich an einem Lächeln, das ihr nicht besonders gut gelang. »Ich … werde darüber nachdenken.«
    Farrin stand auf und streckte ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Summer gab vor, die Geste nicht zu bemerken, sondern stand auf, ohne die Berührung zuzulassen.
    »Danke für den Wein. Und… viel Glück.«
    »Das wünsche ich euch «, erwiderte er mit großem Ernst. Er wollte sich schon abwenden, doch aus irgendeinem Grund konnte Summer ihn nicht so gehen lassen - düster und verstimmt, den Kopf voller Groll und dunkler Gefahren.

    »He, Farrin!«, rief sie ihm zu. »Noch eine letzte Frage. Stimmt es wirklich, dass ihr im Nordland keine Lieder kennt?«
    Er stutzte kurz, dann erhellte die Ahnung eines Lächelns seine Miene. »Machst du Witze, Taja aus Beleter?«, fragte er spöttisch. »Das Nordland hat das Singen erfunden! Da könnt ihr mit euren schwermütigen und sentimentalen Süd-Balladen einpacken.« Und während er zu den anderen Offizieren hinüberging, pfiff er eine schnelle Melodie, die Summer ergriff wie eine Woge aus Bildern und sie vollkommen überschwemmte.

    Der alte Mann mit dem Instrument betrachtete immer noch das Meer, über dem bereits der helle Schleier des Morgens lag. Er blickte nicht sonderlich interessiert zu Summer auf, als sie neben ihm auftauchte. »Ich mag deine Musik!«, sagte sie. »Warum hast du aufgehört zu spielen?«
    Er wandte sich wieder dem Meer zu, machte aber keine Anstalten, zu seinem Instrument zu greifen. »Weil es Morgen ist«, gab er mürrisch zur Antwort. »Die Zeit des Spielens ist vorbei.«
    »Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Spielst du noch ein Lied? Für mich?«
    »Ich habe kein Lied für dich übrig. Wenn du Musik hören willst, dann sing gefälligst selbst.«
    »Bitte!« Sie hoffte, ihre Stimme würde nicht so flehend klingen, doch offenbar konnte sie dem Musiker nichts vormachen. Er hob die Brauen und musterte sie so durchdringend, dass Summer unbehaglich zumute wurde.
    »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen«, bemerkte er. »Aber die Musik wird dich nicht retten.«

    »Doch!«, sagte Summer heftig. »Ich muss ein paar Takte hören, eine Melodie. Ich habe etwas Wichtiges vergessen, aber es ist zum Greifen nahe - und wenn ich Musik höre, dann fällt es mir wieder ein. Ich weiß es!«
    Er zuckte mit den Schultern. »Und warum sollte mich das interessieren? Ich bin kein Wohltäter, nur ein alter Buchhalter, der so schlecht sieht, dass er seine Arbeit in den Hafenkontoren aufgeben musste. Hilft mir etwa jemand?«
    Summer ballte die Hände zu Fäusten. Am liebsten hätte sie den Alten am Kragen gepackt und ihn angeschrien, ihr zu gehorchen. Doch sie beherrschte sich und wiederholte noch einmal mit aller Eindringlichkeit: »Bitte!«
    »Sing. Ich höre zu«, meinte er nach einer Weile gönnerhaft. »Und dann sehen wir weiter.«
    Summer biss sich auf die Unterlippe und betrachtete das seltsame Instrument, das er in den Armen hielt wie

Weitere Kostenlose Bücher