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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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nun zu sehen.

    »Du brauchst mich nicht anzuschreien, Summer. Was habe ich dir getan?«
    »Frag Mort, was du ihm angetan hast«, erwiderte sie mit harter Stimme. »Hat Lady Tod dir auch befohlen, über Leichen zu gehen?«
    Gerne hätte sie jetzt sein Gesicht gesehen, doch die Maske verbarg jede Regung. Nur sein Tonfall verriet, dass ihre Wut ihm etwas ausmachte. »Du … wirst es verstehen«, antwortete er leise. Er gab den Soldaten ein Handzeichen und sie stürzten davon, als hätten sie nur darauf gewartet, sich von Summer entfernen zu dürfen. »Manchmal ist etwas ganz anders, als es scheint«, fügte Anzej hinzu.
    Er deutete nach rechts, zum Meer. Summer zögerte, seiner Aufforderung zu folgen. Was, wenn er sie nur lange genug ablenken wollte, um ihr das Messer abzunehmen? Erst als er demonstrativ ein paar Schritte zurücktrat und die Arme verschränkte, wagte sie einen Blick über die Schulter.
    Das endlose Rasenstück führte direkt zur Spitze eines Fjordes. Und vor dem leuchtenden Herbstblau des Meeres trat gerade eine Frau auf das Plateau. Eine Fürstin? Einige Männer begleiteten sie. Offiziere, vielleicht auch ein Lord. Silberstickereien glänzten auf glattem Leder und Samt. Dagegen wirkte das Kleid der Frau geradezu schlicht. Wie Anzej trug auch sie eine Maske. Poliertes Kupfer glänzte in der Mittagssonne auf. Ein Windstoß zerzauste ihre kastanienbraunen Locken und ließ ihr Kleid flattern - nachtschwarze Seide ohne jeglichen Schmuck.
    Die Frau hielt in der Bewegung inne, als sie Summer entdeckte. Sie holte tief Luft, als müsste sie um Fassung ringen, doch dann wandte sie sich wieder ihren Begleitern zu. Irritiert zog Summer die Brauen zusammen. Sie… kannte die Frau! Diese Geste, mit
der sie ihren Begleitern nun beiläufig, aber nachdrücklich befahl, sich zurückzuziehen, das erhobene Kinn, die Linie der Schultern …
    Sobald die Männer gegangen waren, wandte sich die Frau Summer zu - und nahm die Maske ab.
    Das Messer fiel aus Summers Hand und bohrte sich in den Schnee. Die Zeit kehrte sich um, wirbelte in den Himmel und stürzte auf Summer zurück.
    »Beljén!«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Und das Mädchen, dessen Ebenbild sie in Anna, in Mia und Charisse und all den anderen Frauen, die sie kannte, vergeblich und sehnsüchtig gesucht hatte, legte alles Königliche in seiner Haltung ab und begann zu rennen. »Tjamad!«, rief sie. »Tjamad!«
    Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen. Und Summer schloss die Augen und vergrub das Gesicht in Beljéns Haar. Szenen einer gemeinsamen Zeit erwachten wieder zum Leben. Zwei Mädchen in einem grauen Palast, die sich flüsternd die Geschichten fremder Menschen erzählten und sich wünschten, all das selbst erlebt zu haben. Freundinnen, die gegen die Regeln der Zorya verstießen und heimlich die Lieder der Menschen sangen.
    Zorya! Wieder durchrieselte sie das freudige Erschrecken des Wiedererkennens. Das bin ich! Nein … das sind wir.
    »Zorya«, wiederholte sie. Das Wort schmeckte nach Heimat und nach einer längst vergessenen Zeit voller Geborgenheit. Das Heimweh, von dem Anzej in Anakand gesprochen hatte - plötzlich verstand sie, was er damit gemeint hatte.
    »Endlich bist du wieder zu Hause«, flüsterte Beljén. »Ich habe nie daran geglaubt, dass du tot bist. Ich wusste immer, du kehrst zurück!« Und ernster geworden, setzte sie hinzu: »Anzej hat uns berichtet, dass du alles vergessen hast. Aber du brauchst keine
Angst zu haben, du hast mich. Ich werde dir alles erzählen. Du wirst dich erinnern.«
    Zu Hause . Noch wagte sie nicht, das Wort in Besitz zu nehmen. Viel zu fremd war es und so flüchtig, dass sie fürchtete, sie würde gleich aus einem ihrer Träume erwachen und wieder einsam sein.
    Der Blutmann stöhnte auf und kam zu sich, doch bevor seine tastende Hand das Gewehr fand, war Anzej schon bei ihm und nahm die Waffe an sich.
    »Ihm darf nichts passieren!«, flüsterte Summer Beljén zu. »Er hat mich gerettet - vor Lord Teremes’ Kriegern! Und vor den Tandraj. Sie hätten mich getötet, wenn er nicht gewesen wäre.«
    Beljéns Augen wurden groß. Sie löste sich vorsichtig aus Summers Umarmung und setzte ihre Maske wieder auf. Dann holte sie aus den Falten ihres Kleides etwas hervor. Ein zartes, helles Gebilde, schon leicht vergilbt an den Rändern, und so dünn, dass das Licht hindurchschien.
    »Deine Maske«, sagte sie zu Summer und drückte ihr das hauchdünne Gesicht aus Elfenbein auf die Haut. »Das ist das erste

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