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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Gesetz, an das du dich erinnern musst: Wir zeigen den menschlichen Dienern niemals unser Gesicht.«
    Summer wurde schwindelig. Das kühle Material schmiegte sich an ihre Wangen und ihre Stirn und nahm innerhalb eines Lidschlags ihre Hautwärme an - so als wäre sie tatsächlich ein Teil von ihr. Langsam ahnte sie, warum sie als Einzige in Morts Theater die Theatermaske gern getragen hatte.
    Wie aus weiter Ferne hörte sie Beljéns Stimme. Befehlsgewohnt und herrisch klang sie nun. Sie rief einen Namen. Und zu Summers maßloser Überraschung trat ein grauhaariger Lord heran und verbeugte sich tief vor ihr.
    »Kümmert euch um den Verletzten!«, befahl Beljén. »Nehmt
ihn fest, verbindet seine Wunde. Aber krümmt ihm kein Haar, verstanden? Du stehst mit deinem Leben dafür ein, dass ihm nichts geschieht. Lady Tjamad will ihn später verhören.«
    Lady Tjamad.
    Vage erinnerte Summer sich daran, dass Anzej ihren Namen schon einmal ausgesprochen hatte - damals, als sie ihn auf dem Balkon gefunden hatte. Also kannten wir uns doch. Von Anfang an .
    Der Blutmann kam endgültig zu sich und wehrte sich mit aller Kraft, als mehrere Soldaten zu ihm sprangen, doch die Wunde schwächte ihn und schließlich wurde er überwältigt. Es gab Summer einen Stich, den Schmerz in seinem Gesicht zu sehen.
    Wehr dich nicht! , hätte sie ihm am liebsten zugerufen. Warte ab, ich helfe dir! Aber Anzej war immer noch in der Nähe und beobachtete sie voller Argwohn. Und so zeigte sie keine Reaktion, sondern stand nur da und beobachtete, wie zwei Soldaten den Verletzten davonschleppten. Er stirbt nicht , versuchte sie sich zu beruhigen. Er kann nicht sterben, er ist nur geschwächt. Doch der Blick, den der Blutmann ihr nun zwischen wirren Haarsträhnen über die Schulter zuwarf, traf sie mitten ins Herz. Eine Anklage, eine wütende Frage. Sie wusste, er dachte nun, dass sie ihm die ganzen Tage etwas vorgespielt hatte, um Zeit zu gewinnen, bis die anderen Zorya sie fanden. » Weil du mich getötet hast! Tausendmal und mehr«, hallten seine Worte in ihrem Gedächtnis wider. Langsam ahnte sie, dass er womöglich wirklich weitaus mehr Grund hatte, sie zu töten als sie zu küssen.
    Sie schluckte krampfhaft und war plötzlich unendlich froh, sich hinter einer Maske verstecken zu können.
    Beljén trat wieder zu ihr. »Ihm wird nichts geschehen.« An ihrer Stimme hörte Summer, dass sie lächelte. »Du hast einen weiten Weg hinter dir, kleine Schwester.«

    Vielleicht war es dieses Wort, vielleicht aber auch nur Beljéns mitfühlender Tonfall, aber jetzt fiel der letzte Rest Anspannung von ihr ab. Zurück blieben unendliche Erschöpfung und das überwältigende und betäubende Gefühl, endlich an einem Ziel angelangt zu sein.
    »Wie lange … war ich weg?«, fragte sie zaghaft. Ich fühle den Elfenbeinmund beim Sprechen gar nicht auf meinen Lippen!
    »In Menschenjahren gerechnet? Zweihundert Jahre«, erwiderte Beljén so emotionslos, als würde sie von Minuten sprechen. »So lange habe ich deine Maske aufgehoben. Und manchmal habe ich zu ihr gesprochen, so, als könntest du mich hören.« Sie lachte und legte den Arm um Summers Schulter. »Komm«, raunte sie ihr zu. »Lady Mar wartet auf dich.«

    Die kleine Flotte von Motorbooten, die sie als Eskorte begleitete, schnitt mit scharfen Kielen das Wasser. Es gab kaum eine Bugwelle, während sie dahinglitten - erst den Fjord hinter sich ließen, dann ein ganzes Stück vom Festland entfernt an der zerklüfteten Küste entlangfuhren. Seltsamerweise saßen Beljén und Summer im kleinsten Gefährt. Nicht viel mehr als ein flaches Ruderboot mit einem winzigen Motor, das beängstigend tief im Wasser lag. Nur ein Bootsführer war bei ihnen. Summer hatte jeden Bezug zur Zeit verloren. Als würde sie sich benommen durch einen Nebel bewegen, nahm sie nur Beljén deutlich wahr. Doch auf all ihre Fragen schüttelte die Zorya bedauernd den Kopf. »Lady Mar will nicht, dass wir miteinander sprechen, bevor sie dich befragt hat. Sie wollte nicht einmal, dass ich dich zur Zitadelle bringe, aber ich hätte mir um nichts in der Welt nehmen lassen, dich selbst abzuholen.«

    »Warum wollte sie es nicht?«
    Beljén zuckte mit den Schultern. Eine mädchenhafte, unbekümmerte Geste, die so gar nicht zu ihrer fürstlichen Rolle passte. »Auch daran wirst du dich schneller erinnern, als dir lieb ist, Tjamad. Freundschaften sind unter den Zorya nicht gern gesehen. Nichts, was zu menschlich ist, soll uns von unserer Aufgabe

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