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Ascheherz

Ascheherz

Titel: Ascheherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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rissen wie in plötzlichem Begreifen die Augen auf. Dann wandten sie die Blicke ab und zogen sich hastig zurück. Summers Nacken begann zu kribbeln. Jetzt wich auch ihr das Blut aus den Wangen. Hinter mir? Panik drohte in ihr aufzuwallen. Die Tandraj? Sind sie uns durch den Tunnel gefolgt?
    Der Blutmann stöhnte auf, doch sie legte ihm warnend die Hand auf die Schulter. »Nicht bewegen«, flüsterte sie ihm zu. Vorsichtig tastete sie nach seinem Messer und zog es aus seinem Beinholster. Dann packte sie den Messergriff, so fest sie konnte, und wirbelte herum.
    Sie hatte alles erwartet, nur keine Maske aus geschliffenem Malachit.
    Der Mann, der sie trug, war schlank und groß. Er war kein Soldat, schon seine Haltung zeigte, dass er es nicht nötig hatte, sich mit einer Waffe zu verteidigen. Er wirkte wie ein Lord. An seinem schwarzen Hemd mit dem strengen Stehkragen glänzten Silberknöpfe. Der Saum seiner schmalen Hosen bedeckte seine bloßen Füße kaum. Doch trotz der Maske und der teuren Kleidung hätte sie ihn überall erkannt. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder erschrocken
sein sollte. Erst als er auf sie zutrat, fiel ihr wieder ein, warum sie ihm davongelaufen war. Sie sprang auf und hob ihm das Messer entgegen. Sie wünschte sich nur, ihre Hand hätte dabei nicht so gezittert.
    »Keinen Schritt näher!«, spie sie ihm entgegen. »Was auch immer du bist, bleib uns vom Leib.« Uns . Das letzte Mal, als sie dieses Wort ganz selbstverständlich gebraucht hatte, hatte sie Anzej damit gemeint. Es war beinahe zum Lachen.
    »Ist er das?«, fragte Anzej und deutete auf den Liegenden. »Der Blutmann?« Seine beiläufige Freundlichkeit hatte etwas Gefährliches. Es war seltsam, dass die Maske seine Stimme nicht dämpfte. Summer hörte sie so klar, als kämen die Worte direkt aus dem steinernen Mund.
    »Natürlich nicht! Er ist nur ein Soldat.« Immerhin, das Lügen habe ich nicht verlernt. Und mit schneidendem Sarkasmus fügte sie hinzu: »Der Blutmann hat seine Aufgabe schon in Anakand erfüllt. Du musst es ja am besten wissen. Schließlich hast du ihn dafür bezahlt, mich wieder in deine Arme zu treiben. War es einer der Kartenspieler?«
    »Ja. Und er war sein Geld wert«, antwortete Anzej ruhig.
    Summer biss die Zähne zusammen. »Warum hast du das getan?«, presste sie hervor.
    »Es war die einzige Möglichkeit, dich zum Mitkommen zu überreden.«
    »Überreden!« Sie spuckte ihm dieses Wort voller Verachtung vor die Füße. »Lady Tod hat dir befohlen, nach mir zu suchen, nicht wahr? Was wollt ihr von mir?«
    Anzej betrachtete das Messer. Trotz der Maske konnte sie erkennen, dass seine Augen sich verengten. Sie warf einen hektischen Seitenblick zu den Soldaten. Aber keiner von ihnen machte
Anstalten, einzugreifen. Sie standen in einiger Entfernung, immer noch krampfhaft darum bemüht, Summer nicht anzusehen. Seltsamerweise waren sie totenblass. Einem von ihnen lief ein Schweißtropfen über die Schläfe. Als hätten sie Todesangst.
    Also war es eine Sache zwischen Anzej und ihr. Es war, als spielte sie in einem völlig grotesken Theaterstück mit, ohne zu wissen, wer darin welche Rolle hatte. Der Mann, der mich küsste und in einen Kokon aus Fürsorge hüllte, ist mein Feind. Und den, der mich vor wenigen Stunden noch gefesselt hinter sich hergeschleift hat und mir damit drohte, mich zu töten, den verteidige ich nun mit dem blanken Messer.
    »Wie konntest du mich finden?«, fragte sie.
    »Du wolltest gefunden werden. Ich habe deinen Ruf gehört. Du warst in Not und hast dir gewünscht, dass ich dir zu Hilfe komme.«
    Sie erinnerte sich daran, dass sie sich tatsächlich für einen Wimpernschlag lang gewünscht hatte, dass Anzej bei ihr wäre.
    »Du klangst verzweifelt«, fuhr Anzej mit dieser freundlichen Stimme fort, die ihr nun Angst machte. »Bist du wirklich sicher, dass dein Soldat dort nichts damit zu tun hatte?«
    Eine Gänsehaut stellte jedes Härchen an ihren Armen auf. Und sie hörte auf die warnende Stimme in ihrem Inneren, die ihr sagte, dass sie jede Erinnerung an die Tage mit dem Blutmann und den Kuss im tiefsten Winkel ihres Bewusstseins vergraben musste.
    »Natürlich war ich verzweifelt! Weil Lord Teremes’ Soldaten mir auf den Fersen waren. Er hat mich vor ihnen gerettet. Und zum Dank erschießt ihr ihn?«
    Ohne es zu wollen, war sie laut geworden.
    Anzej hob die Hände, als würde er sich ergeben. Sie kannte die ironische Geste. Wie oft hatte er sie im Scherz gemacht, und es schmerzte, sie

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