Aschenpummel (German Edition)
Sinatra höchstpersönlich war.«
Der Pirat blieb stehen. Selbst im Dunkeln sah ich sein linkes Auge leuchten. »Erzählen Sie«, bat er.
Ich war ebenfalls stehen geblieben. Der Wind wehte sanft und über uns schaukelte ein Zweig. Vielleicht ein Mistelzweig, dachte ich in einem Anflug von angelsächsischer Romantik.
»Also«, begann ich, »in dieser Nacht hat der Hans dem Frank Sinatra von seinem großen Traum erzählt, einmal ein eigenes Geschäft aufzumachen. Und weil er so betrunken war, hat er gemeint, es sei ihm ganz egal, welches Produkt er verkauft, wichtig sei einzig, dass sich der Name des Geschäfts von einem Sinatra-Song herleitet. Und dann haben die beiden überlegt, und Frank hat Hans alles Mögliche vorgeschlagen, aber ins Deutsche übersetzt hätte das alles keinen Sinn ergeben. Und irgendwann hat Frank gefragt, was ›Shoe‹ auf Deutsch heißt. Und der Hans hat gesagt, dass ›Shoe‹ einfach ›Schuh‹ heißt. Und dann hat Frank zu singen begonnen: ›Strangers in the night exchanching glances, wond’ring in the night, what were the chances, we’d be sharing love, before the night was throuououough, shoobie doobie doo lalalalala shoobie doobie doo hmhmhmhmhmhmmmmmm … Und deswegen verkaufen wir Schuhe im Schuh-Bi-Dubi-Du .«
Und noch während ich mir dazu gratulierte, dass ich es geschafft hatte, vor dem Piraten zu singen, einfach so zu singen, machte der Pirat etwas noch viel Erstaunlicheres: Er nahm meine linke Hand in seine und zog sie an sich. Mir brach der Schweiß aus. Und zwar vor allem in der linken Hand. Ich spürte, dass sie klitschnass war, und als der Pirat sie an sein Herz drückte, fühlte sich mein ganzer Körper an, als sei ich gerade einem Regenguss entkommen.
Er ließ mich los und streckte beide Arme in die Luft. »Frau Kis«, rief er, »ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen von Herzen, Sie haben mir den Abend mit dieser wunderbaren Anekdote unendlich versüßt.«
O mein Gott, Pirat, dachte ich, heirate mich, heirate mich doch endlich. Ich will dich lieben und ehren, dir Geschichten erzählen, dir zu Füßen liegen, die Augenklappe polieren, dein – und da endlich wusste ich es. Wusste, was heute so vollkommen anders am Piraten war als all die Monate zuvor.
»Herr Nemeth«, entfuhr es mir. »Herr Nemeth, Ihre Augenklappe!«
Sofort tastete er nach ihr. Er wirkte verunsichert.
Ich gestikulierte vor seinem Gesicht herum. Das war doch nicht zu fassen. Der Pirat, dieser anbetungswürdige, hinreißende, göttliche Mensch, dieser Betrüger –
Ich zwang mich, das Fuchteln einzustellen, und stieß hervor: »Sie tragen die Augenklappe auf der falschen Seite.«
Er sah mich an, als würde er nicht ganz verstehen. »Es gibt keine falsche Seite.«
»Nicht? Pir-, ich meine, Herr Nemeth, Sie haben die Klappe sonst immer auf dem anderen Auge.«
Er lächelte. »Dass Ihnen das auffällt … ich wechsle alle halbe Jahr, sonst ist es zu viel Belastung für das eine Auge, während das andere verkümmert.«
»Aber warum …?«
»Wenn immer das gleiche Auge –«
»Nein, nein!«, rief ich. »Das hab ich schon kapiert. Ich meine, warum tragen Sie überhaupt die Klappe?«
Das Leuchten in dem für mich völlig neuen linken Auge erlosch. Der Pirat ging weiter, ich eilte ihm nach, und erst als er die Tür vom Libri Liberi aufsperrte, sagte er: »Frau Kis, bitte fragen Sie mich nicht mehr danach.«
8
Er stieg die kleine Stufe hinunter und blieb mit dem Rücken zu mir an seinem Schreibtisch stehen. Ich stand mit offenem Mund auf dem Gehsteig und BE-DEs Worte dröhnten in meinem Inneren: »Wer eine Maske trägt, der hat was zu verbergen.« Das war es, oder? Aus irgendeinem Grund hatte der Pirat sich entschlossen, eine Maske zu tragen. Leute wie Bonnie-Denise konnten das natürlich nicht verstehen. Aber ich! Ich, du dummer Pirat, ich verstand das natürlich! Es war ein Schutz. Eine Art Festung zwischen der leisen, sensiblen Seele des Piraten und der lauten, schmutzigen Welt da draußen mit all ihren einschüchternden Bodybuildern, Barkeepern und schwarzhaarigen Schönheiten. Mein Gott, ich hätte auf der Stelle auch eine Augenklappe genommen, wenn ich die saublöde Brille nicht gebraucht hätte, aber nein, ich vertrug natürlich keine Kontaktlinsen!
»Kommen Sie doch herein, Frau Kis.«
In dem grellen Licht, das so einen starken Kontrast zu der Dunkelheit auf der Straße bildete, sah er sehr dünn aus, fast zerbrechlich. Und sein Lächeln wirkte müde. Plötzlich wollte ich nur noch
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