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Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
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Englischlehrer hatte ich, als ich sechzehn war. Er sah aus wie Morten Harket von Aha, und ich schmuste jede Nacht mein Kopfkissen ab und stellte mir vor, es wäre er.
    Als ich achtzehn war, schon längst die Schule geschmissen hatte und bei Hans im Schuh-Bi arbeitete, erwischte ich Englisch-Morten mit Tissi in ihrem Zimmer. Und so traurig ich darüber auch war, ein wenig fühlte ich mich doch geschmeichelt, schließlich hatten Tissi und ich dieselben Eltern, war es da nicht fast so, als hätte Englisch-Morten auch ein bisschen mich geküsst? Danach aßen wir zu dritt eine Schinkenkäsepizza, es war ein Samstagabend und ich verbrachte bestimmt eine volle Stunde in seiner Gesellschaft.
    Zwei Samstagabende, zwei Männer. Doch U-Bahn gefahren war ich mit keinem von beiden.
    Die U-Bahnstation Karlsplatz besitzt eine Besonderheit. Sie stinkt nach Kotze. Und zwar immer. Normalerweise ist mir das egal, aber in dieser Nacht mit dem Piraten war es mir schrecklich unangenehm. Noch dazu, wo ich mich keine zwanzig Minuten zuvor selbst übergeben hatte. Ich bildete mir plötzlich ein, dass es heute schlimmer war als sonst, und fürchtete, dass der Pirat meinen könnte, der Gestank käme von mir.
    Also sagte ich: »Puh, hier riecht es auch immer …« Nicht mal das Wort »stinken« konnte ich vor ihm in den Mund nehmen.
    »Buttersäure«, sagte der Pirat, während er weiter geradeaus starrte.
    »Buttersäure«, wiederholte ich. Dieses Gespräch quoll nicht gerade über vor Romantik.
    Die U-Bahn kam, und wir setzten uns gegenüber voneinander auf einen Vierersitz. Bei jedem Rumpeln, das die U-Bahn machte, wackelten wir im Gleichtakt hin und her. Es war einerseits betörend, so im Einklang miteinander zu sein, andererseits war es seltsam, den Piraten von so etwas Gewöhnlichem wie einer U-Bahn beeinflusst zu sehen. Fast, als wäre er ein ganz normaler Mensch. Einer, der sich auch die Nägel schnitt und die Zähne putzte. Und sogar aufs Klo musste. Ich spürte, dass ich rot wurde.
    Schwedenplatz, noch vier Stationen mit dieser Linie. Plötzlich hatte ich den Eindruck, dass der Pirat heute anders aussah als sonst. Er räusperte sich, ich blickte schnell zu Boden. War es ein gutes Zeichen, dass wir uns so lange anschwiegen? Hieß es denn nicht immer, es sei ganz wichtig, dass Paare auch miteinander schweigen können? Oder bedeutete es schlicht, dass wir uns nichts zu sagen hatten? Schottenring. Noch drei Stationen.
    »Warum Buttersäure?«, fragte ich plötzlich. Wir mussten uns einfach was zu sagen haben. Der Pirat zuckte zusammen. Und ich kam mir vor wie eine Riesenwalze, die alles platt machte.
    Er räusperte sich. »In den siebziger Jahren …«
    Weiter kam er nicht, in dem Moment passierte das Unausweichliche. »Fahrscheinkontrolle.«
    Fast hätte ich aufgeschrien. Mir wurde heiß, und ich bekam vor Schreck kaum Luft. Während der Pirat seinen Fahrausweis zückte, kramte ich hektisch in meiner Handtasche herum und murmelte in einem fort: »Wo ist er nur, wo hab ich ihn denn, wo ist er nur, wo hab ich ihn denn …« Natürlich hatte ich keinen Fahrausweis. »Hmm, ich hab auch einen Fahrausweis, aber anscheinend hab ich ihn heute leider vergessen.«
    »Na, dann steig’ma aus. Flott.«
    Aliens, bitte, bitte. Die U-Bahn hielt, und der Kontrolleur scheuchte uns auf den Bahnsteig: »Dalli dalli, die Herrschaften!«
    Ich hätte weiß Gott was darum gegeben, einfach bewusstlos zu werden. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, einen erneuten Schwächeanfall zu erleiden, doch dann würde am Ende jemand die Rettung rufen, und aus wär’s mit dem abendlichen Besuch im Buchgeschäft.
    So standen also der Pirat und ich mit der diensteifrigen Obrigkeit auf dem Bahnsteig und ich musste meinen Namen, die Adresse und Telefonnummer sagen und meinen Ausweis vorzeigen. Das nächste Problem, ich hatte keinen Ausweis dabei.
    »Ham’ Sie keinen Führerschein?«, fragte der Kontrolleur schon recht genervt.
    Peng, genau ins Schwarze. »Natürlich hab ich einen Führerschein, ich fahre ja Auto, aber ich hab ihn eben nicht mit. Der ist in meiner zweiten Geldbörse, zusammen mit dem Fahrausweis.«
    »Na, dann gemma halt auf die Polizeistation.«
    Neineinein, keine Polizei. Wenn dort noch mal mein Führerschein zur Sprache käme … »Ich – schauen Sie, ich hab diese Mitgliedskarte von der Bibliothek …«
    »Das, was wir brauchen, ist ein amtlicher Lichtbildausweis, meine Dame.«
    Plötzlich mischte sich der Pirat ein. »Wo ist denn bitte das Problem?

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