Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
Vom Netzwerk:
einfach an mir vorbeiging.
    Es war tatsächlich so. Keinen halben Meter von mir entfernt marschierte er an mir vorbei, dann überquerte er die Straße und steuerte direkt auf sein Haus zu. Er hatte mich nicht gesehen! Das konnte doch nicht wahr sein!
    Ich sah, wie er das Schloss aufsperrte. Halt! Halt! Der konnte doch nicht einfach … mach was, Teddy!
    »Halt!«, schrie ich und rannte über die Straße.
    Er drehte sich um. »Oh«, sagte er.
    »Ja«, antwortete ich.

7
    Es gibt Situationen, in denen selbst redselige Menschen verstummen. Dies war so eine, und der Pirat und ich, die wir beide eher generell auf den Mund gefallen waren, schwiegen uns minutenlang an. Das war der Moment, in dem ich mir wünschte, ich hätte zwei Long Island Ice Teas getrunken. Oder mir zumindest nach dem Kotzen und den Erdnüssen einen Kaugummi in den Mund gesteckt.
    Und es war der Moment, von dem ich wusste, dass er unsagbar wichtig für meine gemeinsame Zukunft mit dem Piraten sein würde. Was ich jetzt sagte, könnte den Ausschlag zum Wunder geben. Oder zur Tragödie.
    »Ich wollte nur wissen, ob Sie am Montag wieder geöffnet haben.« Goooott, was für eine Tragödie!
    »Ja«, sagte er.
    »Aha«, machte ich. Und fügte gleich noch souverän hinzu: »Gut.«
    »Ja.«
    Er spielte mit seinem Schlüsselbund herum. Bitte nicht gehen, bitte nicht gehen, bitte nicht –
    »Ich …«, begann ich in meiner Not, »ich hab nämlich gestern ein Buch bei Ihnen gesehen, eine … eine ganz alte Ausgabe von Jane Eyre und ich wollte sie kaufen, aber … naja, mein Schwächeanfall …«
    »Ja.« Er nickte. Und dann, als würde ihm plötzlich etwas einfallen, fragte er: »Und wie geht es Ihnen heute?«
    »Guuuut«, log ich. »Sehr, sehr gut.« Mit dem Zeigefinger deutete ich auf die andere Straßenseite. »Ich war was trinken, mit ein paar Freunden, da im, äh … Einrahmen . Nettes Lokal, Long Island Ice Tea und so …«
    »Ich bin auch manchmal dort«, sagte er. »Aber bis jetzt war ich immer alleine da.«
    Mein Herz sackte ab, rutschte durch meinen Bauch, mein Becken, dann teilte es sich und landete in zwei Hälften in meinen Füßen. Er war einsam. Ein Schauer lief über meinen Rücken. Es war wie eine Offenbarung. Es war, als hätte Gott die Liebe nur aus diesem einzigen Grund geschaffen. Für den Piraten und mich.
    Der Pirat räusperte sich. »Mit meinen Freunden treffe ich mich immer innerstädtisch.«
    »Mmhm«, antwortete ich und fragte mich, ob sich mein Herz wohl jemals wieder zusammensetzen ließ.
    »Wegen Jane Eyre  –«, sagte er plötzlich, »wenn Sie es gleich haben möchten, dann können wir jetzt ins Geschäft fahren.«
    Es gab zwei Männer, mit denen ich bisher einen Samstagabend verbracht hatte. Der eine war der Trafikant vom Franz-Josefs-Bahnhof gewesen und der andere mein Englischlehrer in der sechsten Klasse. Ersterer hatte mich nach getaner Kussarbeit angewiesen, für ihn ein Päckchen aus dem Cleopatra ein paar Gassen weiter zu holen. Ich ging alleine hin, es war ein kalter Februarabend und mein Mund fühlte sich vollkommen anders an als sonst. Zum ersten Mal schmeckte ich einen zweiten Menschen, und auch, wenn der Trafikant nicht genau meiner Vorstellung vom Traummann entsprach, so war ich doch einundzwanzig und endlich, endlich geküsst worden. Das Cleopatra war menschenleer; es waren Katzen, die anscheinend die Herrschaft dort übernommen hatten. Auf jeder Bank, auf jedem Stuhl lag eine Katze. Und die größte von ihnen, eine getigerte, lag sogar auf dem Tisch.
    »Grüß Gott?«, fragte ich vorsichtig. Doch nicht mal ein Miauen bekam ich als Antwort. Ich räusperte mich, räusperte mir Mut zu, dann wiederholte ich, diesmal lauter: »Grüß Gott?«
    »Wer bist du?«
    Ich fuhr herum, sah niemanden, nur noch mehr Katzen. »Ich … ich bin die Teddy, ich komme vom … Trafikant –«
    »Nimm’s dir, liegt hier auf der Theke. Sag ihm, das nächste Mal will ich Bares sehen.«
    »Sag ich ihm«, flüsterte ich, griff nach einem kleinen weißen Päckchen auf der Theke und stolperte im Hinausrennen über zwei Katzen.
    Die Ware lieferte ich brav ab, mein Kusspartner jedoch würdigte mich keines Blickes. Ich versuchte, ihm die Geschichte mit den Katzen witzig zu verkaufen, ich wollte doch, dass er mich mochte, dachte, dass er mein fester Freund sein würde, doch er hatte nur Augen für das Päckchen, und als ich das nächste Mal Briefmarken bei ihm kaufte, tat er so, als würde er mich zum ersten Mal sehen.
    Den

Weitere Kostenlose Bücher