Aschenpummel (German Edition)
rechten Unterarm. Vor Schreck kreischte ich auf. Der Pirat sah mich erstaunt an. Ich starrte auf die Blauzahnvogelspinne im Buch, spürte wieder das Kraxeln auf meinem Unterarm und kreischte weiter. »O Gott, bitte, bitte, bitte, bitte … machen Sie das weg! Ich bin allergisch auf Marienkäfer, bitte!«
Behutsam nahm der Pirat den kleinen Käfer von meinem Arm und brachte ihn vor die Tür. Ich hätte mich am liebsten selbst aufgefressen, so wütend war ich auf mich. Gut, vielleicht war ich nicht der Welt größter Insektenfreund, aber vor einem Marienkäfer hatte ich wirklich keine Angst. Ich mochte sie sogar. Aber dieses viele Krabbelgetier in dem Buch hatte mir doch zu schaffen gemacht, und die kleinen Marienkäferfüßchen auf meiner Haut hatten mir den Rest gegeben.
Der Pirat kam zurück. Ich versuchte zu retten, was zu retten war. »Ich – diese Allergie … sie liegt bei uns in der Familie, seit Generationen und Generationen … schade, so schade, weil sie ja so süß sind, die Marienkäfer, aber drum meinte ich eben … Spinnen, Fliegen, alles super, nur eben keine Marienkäfer … wegen der Allergie …«
Er sah mich lange mit diesem neuen Auge an. Ich glaube, so lange hatte er mich überhaupt noch nie angesehen, ich traute mich kaum zu atmen, wartete auf den Todesstoß. Marienkäferallergie, um Gottes willen, das war das Erbärmlichste, das die Welt je gehört hatte.
Da sagte er: »Wissen Sie, was ich sehr schön finde?«
Wie gerne hätte ich »Ja« darauf gesagt, schließlich wünschte ich mir doch, dass er an unsere Seelenverwandtschaft genauso glaubte wie ich, und da käme so ein »Ja, ich weiß immer, was in dir vorgeht« gerade recht. Gott sei Dank war ich klug – oder feige – genug, trotzdem den Kopf zu schütteln.
Der Pirat schlug das Insektenbuch zu und legte es in seine Schreibtischschublade. Die Tätigkeit schien ihn vollkommen in Anspruch zu nehmen, und ohne aufzublicken sagte er: »Obwohl Sie so eine große Angst hatten, wahrscheinlich sogar Todesangst, haben Sie den Marienkäfer nicht einfach erschlagen.« Jetzt sah er auf. »Das finde ich sehr schön.«
Ich lächelte. Mit gesenktem Blick, sanft, bescheiden und tierlieb. Nach der peinlichen Geschichte eben konnte ich jeden Bonuspunkt gebrauchen, es wäre also sehr blöd von mir gewesen, ihn darauf hinzuweisen, dass ein Draufschlagen auf den Marienkäfer zusätzlichen Körperkontakt bedeutet hätte, den ich ja so dringend hatte vermeiden wollen. Außerdem tötet man niemanden, aus Prinzip nicht. Höchstens ich mich selbst, dachte ich in einem gewagten Anfall von zurückkehrender Melodramatik.
Die Pause dauerte schon wieder zu lange, also fragte ich zaghaft: »Haben Sie hier ein Klo?« Ich musste wirklich und das plötzlich ziemlich dringend.
Der Pirat nickte und deutete auf eine Tür hinter dem Schreibtisch. Er öffnete sie und ging mir voran in ein winziges Zimmer, in dem ein rostiger Eisentisch stand. Nichts weiter. Auf dem Tisch lag eine halb aufgegessene Wurstsemmel. Wie gerne hätte ich von dieser Semmel abgebissen, genau da, wo auch er abgebissen hatte. Vielleicht konnte ich, wenn er mich hier alleine ließ … Doch der Pirat macht keinerlei Anstalten, sich zurückzuziehen. Er öffnete eine weitere Tür an der rechten Seite des Zimmers und machte eine einladende Geste. Ohne ihn anzusehen, huschte ich hinein und schloss die Tür. Sie hatte keine Verriegelung. Schlimmer noch, sie war an der Unterseite offen, wie eine öffentliche Toilette. Ich hob den Rock, zog meine Unterhose runter zu den Knien, auf keinen Fall tiefer, und ließ mich auf die Klobrille sinken. Dabei versuchte ich, möglichst kein Geräusch zu verursachen, was natürlich vollkommen falsch gedacht war, denn umso lauter würde gleich das Plätschern klingen. Und der Pirat ging einfach nicht weg. Unter der Klotür konnte ich immer noch seinen Schatten sehen.
Mein ganzer Unterbauch schmerzte, so dringend war es jetzt. Ich schloss die Augen, steckte mir die Finger in die Ohren, so fest, dass es rauschte, und versuchte mir vorzustellen, dass ich in einem Flugzeug saß. Ganz allein in einem riesigen Flugzeug auf der Toilette, kein Mensch weit und breit, der mich hören konnte, ein menschenleeres Flugzeug, und wenn ich endlich meinen Klogang beendet hatte, dann würde ich auf den Pilotensitz klettern und dieses Flugzeug sicher landen … alles wurscht, Teddy, lass los, lass es laufen … plätscher, plätscher, tropf, tropf, ein ganzer Wasserfall von
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