Aschenputtelfluch
offensichtlich emp fand, hatte uns alle aufgescheucht. Jedem Einzelnen stand die brennende Frage ins Gesicht geschrieben, wo Sonja war oder besser: Was war mit ihr geschehen? Sogar die Nonne schien aus ihrer Trance aufzuwachen. Nervös nes telte sie an ihren Zöpfen herum und biss sich mit ihren gelben Zähnen, die durch eine Zahnspange verunstaltet wurden, die Unterlippe wund.
Mit dröhnendem Kopf lehnte ich mich im Stuhl zurück, schloss die Augen und lauschte dem Flüstern der anderen. Der Name Sonja fiel kein einziges Mal. Niemand sprach ihn aus. Stattdessen drehte sich das Gespräch um Frau Sturm und die Tatsache, dass sie ausgerastet war. Die Spannung war mit den Händen greifbar. Irgendetwas musste ihr nachgeben und die nachfolgende Lawine würde gewaltig sein.
»Was ist mit Sonja passiert?« War das meine Stimme, die die Stille durchbrach? Woher nahm ich den Mut? Viel leicht war es auch Kira, die aus mir sprach, denn ich hatte die Frage nicht geplant. Sie sprang vielmehr aus meinem Mund und hing noch auf den Lippen, als ich zu meinem Entsetzen fortfuhr zu schreien: »Wo ist sie? Was habt ihr mit ihr gemacht? Ihr müsst es wissen! Sie rennt euch doch ständig hinterher wie ein Hund.«
»Was geht dich das an?«, entgegnete Pink und ihre eisige Verachtung hüllte mich ein. Ich fühlte mich nackt unter ih ren zusammengekniffenen Augen, mit denen sie mich auf zuspießen versuchte.
Ja, in diesem Moment fürchtete ich mich vor ihr. Aber et was in mir wehrte sich mit aller Kraft gegen diese Angst.
»Ich weiß, was du getan hast.« Die Schärfe in meiner Stimme überraschte mich selbst.
Nun herrschte Totenstille im Raum. Ich forderte Pink, ei ne der Unantastbaren, die unangefochtene Queen der Klas se, zum Duell und es würde meinen Untergang bedeuten.
»Sie spricht in Rätseln«, murmelte Trixie, erhob sich, trat neben Meg, riss ihr die Zigarette aus der Hand, nahm ei nen Zug und blies den Rauch in die Luft.
»Was starrst du mich so an?«, fauchte Pink. »Stimmt was mit meinem Gesicht nicht?«
Langsam, ganz langsam entspannte ich mich. »Nein, da stimmt etwas absolut nicht.«
»Was habe ich denn getan?«, höhnte sie zurück. »Bin ich hier die Verräterin oder du.«
»Kein Wort habe ich gesagt! Zu niemandem! Nicht ein mal, dass Indi nachts bei uns . . .«
Ich blickte zu ihm hinüber. Nichts in seiner unbewegten Miene verriet seine Gefühle. Nein, er wirkte, als ginge ihn das Ganze nichts an, oder – er wollte sich nicht verteidigen.
Minuten vergingen und Pinks Gesicht erlosch. Es färbte sich grau, als legte sich ein Schatten über sie, und ich frag te mich, was das zu bedeuten hatte.
Mein Blick flog von einem zum anderen, bis er an Indi hängen blieb.
»Du hast Kira im Stich gelassen.«
Langsam schüttelte er den Kopf und ich hörte weit ent fernt Meg, die sagte: »Mach das nicht.«
Aber ich konnte nicht aufhören. »Sie hat dich geliebt!«, rief ich. »Kira hat dich geliebt! Sie hatte niemanden außer dir und du hast sie fallen lassen. Hast einfach alle boshaften Lügen geglaubt, bist auf die ganze Schmierenkomödie hereingefallen. Kira war keine Diebin, genauso wenig, wie ich. Es ist Pink. Sie treibt ihre niederträchtigen Spielchen mit uns allen. Hat es auch mit Kira gemacht. Und keiner von euch tut etwas dagegen. Dabei steckt die Gemeinheit in jeder einzelnen Zelle ihres Knochenmarks. Ihre Gedanken werden beherrscht von der Boshaftigkeit. Ich kapier’s nicht!«, wandte ich mich wieder Pink zu. »Ich kapier einfach nicht, warum du so bist, wie du bist. Aber ich will es auch nicht verstehen.«
»Nichts weißt du«, giftete Pink mit schriller Stimme. Ihre Augen folgten Indi, der sich erhob und auf die Tür zuging. Er trug einen roten Pullover wie immer, und ich konnte nichts anderes, als auf diesen Pullover starren. Rot wie Ki ras Blut.
»Nichts weißt du«, wiederholte Pink noch einmal.
»Alles weiß ich, alles . . .« Ich stockte, kämpfte mit mir. Durfte ich Kira verraten? War es ihr gegenüber fair, das Tagebuch zu erwähnen? Unwillkürlich schloss ich die Au gen und versuchte, mir Kiras Stimme vorzustellen, doch sie schwieg. Ich war auf mich gestellt mit meiner Entschei dung, was richtig und was falsch war.
»Sie hat alles aufgeschrieben, verstehst du. Sie hat Tage buch geführt und jedes einzelne Wort darin ist ein Beweis dafür, dass ihr sie in den Tod getrieben habt.«
Indi verließ ohne ein Wort den Raum.
Pink blickte sich ziellos um, suchte vergeblich Unterstüt zung.
»Geht es
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