Aschenputtelfluch
dir nicht gut?«, fragte ich. »Und Trixie ist auch schon ganz blass. Habt ihr vielleicht auch einen abge trennten, blutigen Vogelkopf in eurem Bett gefunden?«
Neben mir hörte ich einen Aufschrei. Emilia hielt sich die Hand vor den Mund und murmelte: »Ihh, wie eklig! Der war in deinem Bett? Oh Gott!«
»Das waren wir nicht«, Trixies Verteidigung kam schnell. Zu schnell.
»Eben«, meinte Pink und hatte sich wieder im Griff. »Das war Sonja.« Sonja? Damit hatte ich nicht gerechnet. Es brachte mich vollkommen aus dem Konzept. »Sonja?« Die kleine schüchterne Sonja? Die von Beruf Heulsuse war? Die sollte mir das angetan haben? Aber etwas sagte mir, dass das keine Lüge war. Ich verstand gar nichts mehr – oder doch! Wir hetzten uns selbst aufeinander, zerfleischten uns gegenseitig. Ein tolles Spiel, jeder meinte, gewonnen zu haben, jeder hat te verloren. Ich erhob mich, am ganzen Körper zitternd, und verließ das Klassenzimmer.
Es war vorbei . Es fing erst an . Je nachdem .
KAPITEL 21
I ch stürmte die Treppe hinunter Richtung Ausgang und stieß die Tür auf. Eine dunkelgraue Wolkenschicht lag über dem Tal von Ravenhorst und die ersten Regentrop fen fielen.
Würde ich Ravenhorst verlassen?
Würde ich bleiben?
Ich wusste es nicht.
Eine Gruppe Raben schwirrte über meinem Kopf. Nach einander stürzten sie auf ihren Lieblingsplatz unter dem Kastanienbaum zu, als gäbe es dort Sonderangebote. Dick und fett krakeelten sie auf dem Abfalleimer, um sich im nächsten Moment giftig um etwas zu streiten.
Etwas Schwarzes, Fedriges.
Ich konnte den Blick nicht abwenden. Worum sie sich stritten, war nichts anderes als ein toter Körper, dem der Kopf fehlte.
Ekel stieg in mir hoch. Nein, ich konnte nicht glauben, dass Sonja dem Raben den Kopf abgeschnitten hatte. Son ja! Ausgerechnet Sonja, das Sensibelchen, die Heulsuse, das Weichei? Die unfähig war, überhaupt auch nur eine einzige vernünftige Entscheidung für sich zu treffen?
»Ihr verdammten Viecher«, schrie es plötzlich aus mir heraus. »Habt ihr nichts Besseres zu tun? Ekelhaft seid ihr. Fett und ekelhaft wie alle hier.« Ich stieß einen lauten Schrei aus und raste auf die Vögel zu. Mit lautem Krächzen stoben sie auseinander. Ich hob einen Stein und warf ihn ihnen nach.
Mein Fuß trat gegen den Abfalleimer, der laut schep pernd zu Boden stürzte. Der ganze Müll verbreitete sich auf dem Pflaster.
Ausgerechnet Sonja?
War sie deshalb verschwunden?
Was hatte sie zu mir gesagt, als ich sie vor Bastian ge warnt hatte?
Nikolaj und Meg.
War es Eifersucht, Neid gewesen? Auf mich?
Und wenn Sonja nicht krank war, wenn niemand wusste, wo sie war, dann war sie entweder auf dem Weg zu ihren Eltern oder . . . sie verkroch sich irgendwo. Aber warum?
Ich dachte daran, wie jemand gestern Nacht weggelau fen war. Wer von den beiden Mädchen war Sonja gewe sen?
Meine Gedanken rasten.
Warum machst du dir eigentlich wegen der Sorgen, fragte ich mich. Sonja war es schließlich gewesen, die sich gleich am ersten Morgen am Frühstückstisch an mich herangeschmissen hatte, um mich einen Moment später fallen zu lassen für Trixie und Pink. Sie hatte mit den beiden auf mir herumgehackt, sich über mich lustig gemacht, wann immer sie konnte – um nicht selbst die Neue zu sein, der Loser, der Novize, den keiner wollte. Eiskalt hatte sie mich des Diebstahls bezichtigt und – verdammt! – sie hatte dem Vogel den Kopf abgeschnit ten! Von wegen naive Heulsuse! Alles Theater! Sie war schlimmer als Pink.
Also, warum zermarterte ich mir das Hirn ihretwegen? Nur ein Freak wie alle hier, diese abgedrifteten Psychos, deren einziger Lebensinhalt darin bestand, sich gegensei tig fertigzumachen, sich Szenarien auszudenken, wie sie anderen die Existenz zur Qual machen können.
Vergiss Mobbing!
Mobben, so etwas machen Hausfrauen.
Was hier abging, das war etwas anderes. Das war – Stal king. So nannte das die Polizei. So etwas war strafbar. Wenn ich das meinem Vater erzählte, bekämen die alle hier eine Anzeige.
Und – auch wenn Kira freiwillig gesprungen war. Sie hat ten sie dennoch umgebracht. Seelischen Totschlag hatten sie begangen.
Sie gehörten weder in ein Internat, noch verbannt hinter Klostermauern, sondern in den Knast. Einen Stacheldraht zaun um das ganze Gelände hier und Ruhe war.
Es war das Läuten der Schulglocken, die mich zur Ruhe brachten. Die erste Stunde war zu Ende, doch meinem Gefühl nach dauerte dieser Morgen bereits ewig und er würde nie enden.
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