Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
Vom Netzwerk:
Ärzte dieser Welt. Unbarmherzig. Der Krebs raubt das Leben, um am Ende selbst zu sterben. Wie Nadeschdas Bruder. Jo hielt den Atem an. Nun fiel ihr alles wieder ein. Nadeschdas Geheimnis. Davor war sie weggerannt. Geradeswegs in die offenen Arme der Teufel.
    Â»Ich kann es nicht versprechen.« Jo fühlte sich leer und ausgebrannt, sie konnte nicht einmal weinen. Sie fühlte nichts. Nur Leere. Unendliche Leere wie damals in der leergefegten Aschenwelt. All ihre Gefühle waren von einem kalten Wind hinter die endlosen Horizonte geweht, unerreichbar für sie.
    Â»Ich habe keine Kraft mehr für dieses Leben«, fuhr sie fort. »Keine Kraft mehr.«
    Ihre Mutter hielt weiter ihre Hand. Jo spürte ihre Wärme, nahm sie aber gar nicht richtig wahr. Die Angst vor der Klinik und vor den Steinchen war verschwunden. Nichts konnte ihr mehr irgendetwas anhaben, denn sie würde ohnehin sterben. Hier auf dem Sofa, auf dem auch ihr Vater gestorben war, genauso wie ihre Großmutter. Ein schöner Ort zum Sterben. Schöner konnte keiner sein. Sie würde ihnen allen folgen, auch Anne. Sie wartete schon viel zu lange auf sie.
    Jo drehte ihren Kopf und schaute in die besorgten Augen ihrer Mutter. Sie waren blau wie der Himmel. Und voller Liebe. Und voller Hoffnung und Zuversicht. Ihre Mutter gab niemals auf, sie verlor nie die Hoffnung. Auch wenn es vielleicht niemals ganz gut werden wird, sagte sie einmal, als Jo wie so oft mit ihrer Verzweiflung rang, so wird es doch immer ein bisschen besser. Jeden Tag ein paar kleine Schrittchen, nicht zurückschauen und nicht zu weit voraus, immer nur auf den nächsten Schritt. Irgendwann wird es soweit sein, irgendwann hat man sein Ziel erreicht, ob groß oder klein. Erst dann darf man zurückschauen und stolz sein auf all die Schritte, die man gemeistert hat.
    Jos Herz wurde schwer. Die Kälte in ihr schwand, die Wärme ihrer Mutter strömte in sie. Egal, was das Leben für sie bereit hielt, sie machte ihre kleinen Schritte, Tag für Tag. Meisterte sie. Und ganz nebenbei brachte sie noch die Kraft auf, anderen auf ihrem Weg beizustehen, all den Junkies in der Drogenberatung, und vor allem ihrer Tochter. Eine Träne tropfte aus Jos Augenwinkel und wanderte langsam und heiß über ihre Wange. Sie drückte die Hand ihrer Mutter fester.
    Â»Ich weiß nicht mehr weiter.« Jo schluckte ein Schluchzen hinunter. »Es ist mir einfach alles zu viel. Anne, dann Papa und nun das. Nadeschdas Bruder, der Mörder von Anne. Das ist doch alles nicht wahr!«
    Â»Nadeschda hat es nicht gewusst«, sagte ihre Mutter.
    Â»Was? Dass ihr Bruder Anne getötet hat?«
    Ihre Mutter nickte. »Sie wusste nicht, dass ihr Bruder schuld ist, dass Anne nicht mehr bei uns ist. Ich hab lange mit ihr gesprochen …«
    Jo schwieg und versuchte, Ordnung in ihre verhedderten Gedanken zu bringen, was ihr nicht recht gelingen wollte.
    Ihr war kalt und sie hatte Durst, als wäre sie tagelang durch die Wüste geirrt und hätte dabei nur Sand geschluckt. Sie zitterte am ganzen Körper.
    Â»Hier.« Ihre Mutter reichte ihr ein Glas Wasser, das Jo in einem Zug leerte, um sich gleich danach zu übergeben. Es brach aus ihr heraus, unvorhergesehen und unkontrollierbar.
    Ihre Mutter wischte alles weg und fand dabei auch noch tröstende Worte. Jo weinte und war wütend auf sich selbst.
    Â»So viele Jahre hab ich’s geschafft!«, rief sie. »So viele! Und jetzt ist alles wieder zunichte. Die verfluchten Teufel!«
    Â»Es ist nicht alles zunichte«, sagte ihre Mutter. »Wir kriegen das hin. Gemeinsam.«
    Es klingelte an der Tür. Jo zuckte zusammen, als wäre ein Flugzeug ins Wohnzimmer gestürzt.
    Â»Wer kommt da?«
    Â»Das wird Nadeschda sein.« Ihre Mutter stand auf. »Hoffentlich hat sie alles bekommen.« Sie verließ das Zimmer und ließ Jo alleine mit ihrem Gedankenchaos und ihren Zitterattacken.
    Ich will sie nicht!
    Warum nicht?
    Sie hat mich verraten, mich benutzt. Weil sie sich schuldig fühlt!
    Das ist absurd, das weißt du.
    Ich weiß gar nichts.
    Jo schloss die Augen. Aber es drehte sich alles. Sie fixierte einen Punkt an der Decke. Es half nichts. Sie stemmte sich hoch und traf gerade noch den Eimer, den ihre Mutter bereitgestellt hatte. Nicht ganz, ein bisschen ging daneben und klebte nun auf dem Teppich.
    Nadeschda stand in der Tür. Hat sie mich beobachtet? Jo warf sich zurück auf ihr

Weitere Kostenlose Bücher