Aschenwelt
Autos rauschten immer noch zu beiden Seiten vorbei, das Gras war niedergetrampelt und voller Unrat. Sie blieb stehen und erst in diesem Moment wurde ihr in vollem Umfang bewusst, was eben geschehen war. Es traf sie wie eine Keule und schlug sie zu Boden. Sie fiel auf die Knie und schrie ihren Schmerz und ihren Zorn in die Baumkronen hinauf. Wenn es einen Gott gab, dann verhöhnte er sie.
Die Teufel lachten.
»War mein Leben noch nicht schlimm genug?«, schrie sie. »Hast du mich denn noch nicht genug gequält?« Sie stand auf, Zornestränen liefen ihr übers Gesicht. Sie stieà einen Schrei aus und stampfte wütend auf den Boden ein. »Du Arschloch!«, schrie sie. »DU ARSCHLOCH!«
Sie rannte davon, der Grünstreifen bot ihr keinen Trost und keine Antworten. Sie irrte durch die Stadt und landete vor ihrer Wohnungstür. Wem sonst auÃer Kevin konnte sie ihre Wut ungefiltert um die Ohren hauen. Er kam gerade aus seinem Zimmer, als sie den Wohnungsflur betrat. Jo blieb stehen, blickte ihn an und lieà ihre Tasche auf den Boden fallen.
Kevin sagte nichts, kam ihr nur eilig entgegen und nahm sie gerade noch rechtzeitig in den Arm, bevor sie zusammenbrach. Er hielt sie fest und ertrug stumm ihr Schluchzen und das wilde Zucken ihres Körpers. Kevin wusste schon immer, was mit ihr los war, mehr als jeder andere Mensch. Bis auf Anne. Näher war nur sie Jo gewesen.
»Du hattest recht«, schluchzte sie in seine breite Brust. »Mal wieder. Und jetzt bin ich wieder ein Häuflein Elend, weil ich nicht auf dich gehört habe.«
»Mit was hatte ich recht?«, fragte er. »Nadeschda?«
Jo nickte und Kevin seufzte.
»Du hast mich vor ihr gewarnt«, sagte sie. »Warum? War es nur ein Gefühl?«
»Ich sagte doch, dass ich über sie recherchiert habe. Was hat sie dir denn erzählt?«
»Ihr Bruder«, mehr kam Jo nicht über die Lippen.
»Annes Mörder«, flüsterte Kevin. Nur das. Und in Jo regte sich plötzlich neuer Zorn. Dieses Mal richtete er sich gegen Kevin.
»Du hättest es mir sagen sollen!«
»Du wolltest mir nicht zuhören.«
»Du hättest es mir sagen müssen!« Sie stieà sich von ihm weg und wand sich aus seinen massigen Armen. Ihr Herz raste. Kevin hatte sie wissentlich in ihr Verderben rennen lassen.
»Warum hast du es mir nicht gesagt!«, schrie sie ihn an.
»Weil â¦Â«
»Warum! Hab ich noch nicht genug Scheià erleben müssen? Brauchte ich noch eine Lehre, dass ich besser auf dich hören sollte? Warum! Kevin!«
Kevin reagierte nicht.
»Warum!«, rief Jo noch einmal voller Verzweiflung.
»Okay«, sagte Kevin. »Jetzt hab ich allmählich genug. Ich hab noch ein eigenes Leben. Ich kann mich nicht die ganze Zeit um dich kümmern, schauen, dass dir nichts passiert, dass es dir gut geht et cetera pp. Wenn du nicht endlich lernst, auf dich selbst aufzupassen, selbst dein Leben in die Hand zu nehmen, selbst dafür verantwortlich zu sein â dann tuts mir leid â dann kann und will ich dir nicht mehr helfen. Hörst du? Ich will nicht mehr! Ich bin es leid, mich dafür auch noch ständig beschimpfen zu lassen. So leid!« Sein Gesicht war zornverzerrt. Er lieà Jo einfach stehen, ging in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Jo stand bestürzt und sprachlos im Flur. Sie riss sich aus ihrer Erstarrung, stieà einen wütenden Schrei hervor, stürzte zur Wohnung hinaus, schlug die Tür hinter sich zu und rannte auf die StraÃe hinaus.
Die Teufel schrien vor Glück.
Auf dem Asphalt drehte sich mit einem Mal alles um sie herum. Ziellos lief sie durch die StraÃen und kam sich dabei vor, als säÃe sie in einem Kettenkarussel, das umzukippen drohte. Der Boden unter ihren FüÃen schwankte, ihr Gesichtsfeld verschwamm, und die Gesichter der Passanten verwandelten sich in hässliche Teufelfratzen. Sie grinsten sie mit spitzen Zähnen an, lachten und tanzten ausgelassen um sie herum. Sie waren wieder da. So lange hatte sie gegen sie gekämpft und gedacht, sie wären vernichtet. Aber hier waren sie wieder, diesmal waren sie ihr bis in die reale Welt gefolgt. Sie grinsten, sie lachten, Jo rempelte sie weg, hörte nicht auf ihre Schreie und kämpfte sich weiter durch die Menschenkörper mit Teufelfratzen. Ich will das nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Sie kämpfte sich durch die Teufel und hielt ihre
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