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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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mir wichtig. Nur Anne. Nichts ließ mein Herz so schlagen, und nichts fügte mir solche Schmerzen zu. Schon ein seltsamer Blick ließ meine Eingeweide zusammenziehen, vor Angst, ich hätte etwas Falsches gesagt oder getan, und sie könnte mich deshalb verlassen. Was sie niemals tun würde, wie sie nicht müde wurde, mir jeden Tag zu beteuern. Ich wusste, wie zerbrechlich unsere Liebe war, wie vorwurfsvoll uns alle anschauten, oder gar meinten, ihre Sicht der Dinge kundtun zu müssen. Ich scherte mich einen Dreck um sie.
    Etwas hat die Lumpengestalten mehr erschreckt als zuvor. Gerade verschwinden die letzten Fetzen ihrer Hüllen hinter dunklen Ecken, dann liegt die staubige Straße ausgestorben und totenstill vor mir. Über den Sackleinenhimmel huschen Schatten. Fratzen. Sie sind auf der Suche. Nach neuen Opfern. Ihren Durst zu stillen.
    Ich stehle mich davon, als das hohe Schrillen ihr Kommen ankündigt. Man läuft ihnen besser nicht über den Weg. Ich weiß, was sie den Lebenden, den wenigen Übriggebliebenen antun.
    Nach Hause. Im Schatten. Auf der Hut. Welch Wahnsinn mich damals getrieben hat, trotz allem immer und immer wieder in diese grausige Welt zu reisen.
    Mir ist übel und ich muss mich übergeben. Keine Zeit, lange zu verharren. Weiter. In mein schützendes Zimmer.
    Die Wirkung des Joints ließ allmählich nach, die Sonne brach hervor, die Häuser richteten sich wieder auf, wie auch die Alleebäume. Der Vorhang fiel wieder.
    Zuhause wartete Anne auf mich.
    Â»Schön, dassde endlich da bist, Jo«, sagte sie mit ihrer hellen Stimme, nicht ahnend, wovor ich eben noch geflohen war.
    Ich schloss sie wortlos in meine Arme und verbarg meine Tränen vor ihr.
    Â»Alles gut?«
    Ich atmete tief durch. »Alles gut.«
    Ich trat einen Schritt zurück, um sie mir in ihrer Gesamtheit anzuschauen. Jeden Tag aufs Neue verblüffte es mich, wie schön sie war. Manchmal war ich davon überzeugt, dass Gott einem Übermotivationswahn erlegen sein musste, als er sie schuf. Als dann ich an der Reihe war, wollte er Feierabend machen. Die Resterampe war gerade gut genug für mich.
    Alles an Anne war hübscher und schöner als an mir. Ihr langwallendes, blondes Haar glänzte wie in einem Werbespot – meines erinnerte an einen räudigen Hund. Ihre Haut war rein und von samtenem Braun – ich war schon nach wenigen Minuten in der Sonne rot wie eine Tomate. Sie kleidete sich wie eine Frau, ich eher wie ein Straßenjunge. Und ihre Brüste. Fest und apfelgroß. Ich hatte an dieser Stelle nichts, was sich vergleichen ließe. Vielleicht hätte ich ein Junge werden sollen. Ein weiterer Beweis für das Versagen meiner Eltern. Davon gab es viel zu viele.
    Â»Warst du in der Schule?«, fragte sie.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Ich auch nicht.« Ihr Blick ruhte dabei auf einem meiner Wandbilder. Die meisten davon zeigten Anne. Meistens nackt. Meine Zimmerwände waren übersät mit Bildern. Das einzige, was ich konnte, war zeichnen. Und das tat ich ausgiebig. Allerdings war mir noch nie ein Bild auf Papier gelungen. Nur an Wänden. Hier Anne in ihrer ganzen nackten Pracht, dort meine Eltern, entweder hässlich entstellt oder tot in Särgen liegend. Ich stand daneben und schaute in die Särge. Keine Ahnung, was ich dabei dachte. In letzter Zeit kamen mehr Motive hinzu. Die Aschenwelt, die ich seit kurzem in meinen Drogenräuschen sah.
    Meine Eltern saßen sich in ihren schmucken Kanzleien die Ärsche platt und kämen erst spät nach Hause. Ich hatte das Haus für mich alleine. Und Anne. Ich war wieder nüchtern und bereit für einen weiteren Blick auf die Aschenwelt.
    Â»Lust, was zu rauchen?«
    Anne nickte. Sie nickte immer. Genauso verkommen wie ich.
    Ich kramte meinen Tabakbeutel aus meiner Tasche und begann, eine kleine Tüte zu bauen. Nicht zu viel grünes Gras, lieber mehr Tabak. Mein letzter Joint war keine zwei Stunden ausgebrannt. Oder doch ein bisschen mehr? Was soll’s.
    Wir hatten kaum zweimal gezogen, da schrak ich durch ein allzu bekanntes Geräusch auf. Das kann nicht sein! Viel zu früh! Doch der Wagen meiner Mutter kam unaufhaltsam die geschotterte Einfahrt heraufgeknirscht. Gottseidank waren wir noch nicht in die andere Welt abgetaucht. Ich wartete, bis das Auto außer Sichtweite meines Fensters war und öffnete es dann. Mit einem Buch versuchte ich, die Rauchschwaden aus

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