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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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leid. Da kann ich leider noch keine Vermisstenanzeige aufnehmen. Das ist noch nicht lange genug.«
    Â»Bitte was? Noch nicht lange genug? Was ist, wenn sie entführt wurde, sie in einen Keller gesperrt wurde, damit sie dort verhungert? Muss man erst den Verwesungsgestank riechen, bis Sie sich endlich darum kümmern? Was ist denn das für eine Scheiße!«
    Â»Bitte, meine Dame, beruhigen Sie sich.«
    Â»Ich bin nicht Ihre Dame!«, schrie Jo. »Und ich beruhige mich dann, wenn Sie endlich anfangen, nach meiner Freundin zu suchen.«
    Â»Das können wir nicht.« Der Polizist blieb ruhig, obwohl Jo tobte wie ein gerade frisch eingesperrter Tiger.
    Â»Und was soll ich jetzt tun?«, fragte sie. »Warten, bis mich jemand anruft und mit betroffener Stimme ›es tut uns leid, wir haben eine schlechte Nachricht‹ sagt?«
    Â»Hören Sie. Gehen Sie jetzt bitte nach Hause. Hier haben Sie meine Nummer.« Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand, die Jo sofort zerriss und ihm zurück ins Gesicht warf. »BERUHIGEN SIE SICH!«
    Jo zuckte unter der plötzlich herrischen Stimme zusammen.
    Â»Beruhigen Sie sich«, fuht der Polizist wieder ruhiger fort, »oder ich muss Sie in Verwahrung nehmen.«
    Jo verdrehte die Augen.
    Â»Einverstanden?«
    Jo nickte widerwillig. Aber nur ein Mal.
    Â»Also, hören Sie mir zu. In fast allen Fällen von Vermisstenanzeigen, die wir bearbeiten, löst sich der Fall von alleine. Gehen Sie jetzt bitte nach Hause. Sehr wahrscheinlich wartet dort Ihre Freundin schon auf Sie und macht sich womöglich Sorgen um Sie!«
    Â»Und wenn nicht?«
    Â»Sollte sie bis morgen früh immer noch nicht aufgetaucht sein, dann rufen Sie bitte direkt mich an. Hier.« Er reichte ihr eine neue Karte, die Jo dieses Mal entgegennahm und einsteckte. »Vorher können wir leider nichts tun. Aber vertrauen Sie mir, Ihrer Freundin ist sicher nichts geschehen.«
    Jo akzeptierte, dass es zwecklos war und verließ die Polizeistation. Sie fluchte still vor sich hin und schrie ab und an ihre Wut hinaus, womit sie mehrere Passanten erschreckte, was ihr aber egal war.
    Als sie vor Nadeschdas Haus ankam, saß im Hauseingang zitternd und mit blauen Lippen Nadeschda, die sofort aufsprang und »Wo bist du denn! Ich hab meinen Schlüssel vergessen!« rief.
    Jo warf das Fahrrad auf den Gehsteig, stürzte sich auf Nadeschda und umarmte sie so fest sie konnte. Der ganze Stress, die ganze Angst und die Wut brach sich Bahn und Tränen rannen in Sturzbächen aus ihren Augen und durchnässten Nadeschdas dünne Jacke. Sie weinte und versuchte, etwas zu sagen, aber die Stimme versagte ihr. Sie haute auf Nadeschda ein und schrie und weinte, und Nadeschda verstand die Welt nicht und fragte ohne Unterlass, was denn um Himmelswillen los sei.
    Als Jo sich wieder soweit im Griff hatte, dass sie wenigstens einzelne Wörter formen konnte, sagte sie, jedes Wort mit einem Nachdruck verleihendem Hieb auf Nadeschdas Schulter versehen: »Tu – das – nie – wieder! Nie – wieder! Verstanden?«
    Â»Was denn?«
    Â»Mich alleine zurücklassen, ohne dass ich weiß, wo du bist.«
    Â»Oh je. Es tut mir leid! Es tut mir leid! Komm her.« Sie nahm Jo in der Arm. »Können wir erstmal reingehen? Ich frier mir den Arsch ab. Dann erzähl ich dir, was los war. Okay?«
    In Nadeschdas Wohnung zitterten die beiden um die Wette, Nadeschda vor Kälte, Jo vor Erschöpfung. Nadeschda langte nach einer Decke und legte sie ihnen beiden um die Schultern. Sie setzten sich eng umschlungen auf die Bank hinter dem Küchentisch.
    Â»Schau mal hier«, sagte Nadeschda. Sie nahm einen Zettel, der auf dem Tisch lag. »Meine Nachricht an dich. Ich musste schnell ins Krankenhaus, meine Tante hatte einen Schlaganfall. Hast du den nicht gefunden?«
    Jo schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du hättest mich verlassen, oder dir wäre etwas zugestoßen.«
    Â»Nein, du Dummerchen. Ich werde dich doch nicht verlassen! Wie kommst du denn auf sowas?«
    Â»Weil ich gestern so gemein zu dir war.«
    Â»Und das völlig zurecht! Ich hab zuviel getrunken und daher bin ich selbst schuld.«
    Â»Wie geht’s deiner Tante?«
    Â»Nicht gut«, seufzte Nadeschda. »Sie ist zwar wieder ansprechbar. Aber der Arzt weiß nicht, ob sie je wieder ganz gesund wird.«
    Â»Das ist traurig.« Jo machte sich Vorwürfe. Sie war

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