Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
Vom Netzwerk:
so egoistisch und zerfloss in ihrem Leid, wieder einmal verlassen worden zu sein, dabei kämpfte jemand, der Nadeschda nahestand, ums Überleben, was mit ihr oder ihrer Beziehung nicht das Geringste zu tun hatte.
    Â»Ich hab jedes Krankenhaus im Umkreis abgeklappert«, sagte Jo. »Weil ich dachte, dir wäre etwas passiert. Ich war sogar bei der Polizei.«
    Â»Mein Dummerchen.« Nadeschda drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
    Â»Meine Tante liegt im UKE.«
    Â»Da war ich auch! Dann haben wir uns so knapp verfehlt.«
    Â»Scheint so.« Nadeschda umarmte Jo etwas stärker. »Jetzt ist aber alles wieder gut. Ich verlass dich doch nicht. Niemals.«
    Â»Versprochen?«
    Â»Versprochen.«
    Â»Danke.« Jo seufzte und schmiegte sich an Nadeschdas Brust.
    Nadeschda streichelte ihr über den Kopf und sagte dann: »Darf ich ganz offen mit dir sein?«
    Jo zuckte zusammen. Was kam jetzt?
    Â»Ja?«, sagte sie zögerlich.
    Â»Ich bin ja keine Psychologin«, begann Nadeschda. »Kann es sein, dass du sehr große Angst davor hast, jemanden zu verlieren, oder verlassen zu werden?«
    Â»Kann sein.«
    Â»Und woran liegt das? Hat Anne dich verlassen?«
    Jo schwieg.
    Â»Oder hast du etwas anderes erlebt?«
    Jo schwieg weiter.
    Â»Vielleicht wegen der Drogen?«
    Â»Was soll mit denen sein?«
    Â»Naja, grundlos wirst du sie nicht genommen haben, so wie ich dich kenne.«
    Â»Kennst du mich wirklich?«
    Â»Ein bisschen. Aber ich will doch noch besser kennenlernen. Und daher würde ich mich freune, wenn du mir erzählst, was damals geschehen ist.«
    Â»Ich weiß nicht.«
    Â»Ich bin für dich da.«
    Jo schwieg.
    Â»Hast du irgendjemandem schon mal alles erzählt?«
    Â»Meinem Therapeuten.«
    Â»Und?«
    Â»Nichts und.«
    Jetzt schwieg Nadeschda und betrachtete sie lange und eingehend.
    Â»Vielleicht hilft es dir und auch mir, und unserer Beziehung, wenn du es mir erzählst«, sagte Nadeschda. »Oder du schreibst es auf, wenn dir das leichter fällt.«
    Jo merkte, wie die Teufel sich im Schlaf regten. Jene Monster, die sie längst verjagt zu haben glaubte. Aber sie waren immer noch da. Das konnte sie nicht leugnen. Auch wenn sie lange geglaubt hatte, sie ein für alle mal vertrieben zu haben. Sie hatte unbeschreibliche Angst davor, dass sie wieder zurückkehrten und abermals ihr Leben bestimmten. Sie wollte nie wieder daran erinnert werden, woher die Teufel damals kamen und was sie ihr damals antaten. Nie wieder.
    Â»Ich kann nicht«, sagte sie. »Dräng mich nicht.«
    Nadeschda schwieg und streichelte sie.
    Â»Bitte verstehe mich«, sagte Jo.
    Â»Jo, ich liebe dich«, sagte Nadeschda. »Und ich akzeptiere jede deiner Entscheidungen. Du musst es mir nicht erzählen. Solltest du aber irgendwann doch das Bedürfnis dazu haben, dann bin ich immer für dich da. In Ordnung?«
    Jo nickte und schmiegte sich noch näher an Nadeschda.
    Liebe Anne!
    Ist es wirklich so? Habe ich Verlustängste? Ich klammere. Klammere an Deschda, klammere an allem, was mir lieb ist. Ich will sie nicht verlieren, nicht sie auch noch. Verstehst Du? Ich hatte heute so große Angst, dass sie weg ist, dass sie mich verlassen hat oder dass ihr etwas zugestoßen ist. Ich hatte Panik, ganz eindeutig, und teilweise war ich nicht in der Lage, klar zu denken. Dabei hätte ich nur meine Augen aufmachen sollen, denn Deschdas Zettel mit ihrer Nachricht war eigentlich nicht zu übersehen. Aber ich hab ihn übersehen! Meine Angst macht mich blind. So wie damals. Es hat sich nichts verändert. Trotz den tausend Therapiestunden (oder waren es weniger? Oder mehr? Ich weiß es nicht mehr).
    Mir kam gerade in den Sinn, dass Deschda zu mir geschickt wurde. Eine höhere Macht oder sowas hat sie mir gesandt. Weißt Du, was ich meine? Ich denke ernsthaft daran, all meine Erlebnisse von damals aufzuschreiben. Für mich. Und für Deschda! Vielleicht hilft es mir tatsächlich, das alles in Worte zu fassen, festzuhalten, um es endlich loslassen zu können. Ich habe noch nicht alles verarbeitet. Sonst wäre ich heute entspannter gewesen. Aber kann ich das überhaupt? Muss ich das? Ich war stark und habe hart gearbeitet. Nach der Klinik hab ich keine Drogen mehr angerührt, obwohl es viele Tage gab, in denen ich verzweifelt war, von Dunkelheit erfüllt und von Angst, dass alles wieder von vorne losgehen könnte.

Weitere Kostenlose Bücher