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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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das nichts.«
    Â»Wer sagt das?«
    Â»Ich.«
    Anne seufzte und fragte: »Ich kann dich nicht davon abbringen?«
    Â»Non, Madame.«
    Â»Gut. Dann tu ich’s.«
    Â»Ja. Tu es!«
    Und Anne tat es. Und ich schrie auf und sprang wie von einer Riesenhornisse gestochen durch mein Zimmer. »Scheiße, verdammte!«, schrie ich. »Tut das weh!« Ich hielt mein Ohr, zog den Radiergummi heraus und warf ihn an die Wand.
    Anne saß verdattert auf dem Teppich und blickte mich angsterfüllt an. Und ich schrie und hüpfte und schrie und musste plötzlich lachen und konnte nicht mehr aufhören damit.
    Anne wusste immer noch nicht, was sie tun sollte, saß da neben der Kerze und schaute mich an.
    Allmählich beruhigte ich mich wieder und konnte ein paar Mal tief durchatmen. Ich befühlte die Sicherheitsnadel in meinem Ohr und schloss sie. Ein zufriedenes Gefühl durchfloss mich. Ich kniete mich zu Anne hinab und küsste sie mitten auf den Mund. »Danke«, flüsterte ich.
    Â»Das hat wehgetan«, sagte Anne.
    Â»Der Kuss?«
    Â»Die Nadel, Dummi.«
    Ich nickte.
    Â»Verrücktes Huhn.«
    Ich lachte. »Ja, ist wohl so. Haare auswaschen!«
    Geil. Das war das einzige, was ich denken konnte, als ich mich nach der Veränderungsprozedur im Spiegel anschaute.
    Â»Wie geil«, sagte Anne.
    Â»Ja, total. Willst auch so einen Ohrring haben?«
    Anne schüttelte schnell den Kopf.
    Mein Kopf leuchtete wie ein Automatenkaugummi. Meine Haare hingen in langen und dicken signalroten Strängen herab, darunter blinkte die Sicherheitsnadel, und jetzt musste ich es auch laut aussprechen: »Geil.«
    Es war ein gutes Gefühl. Zum ersten Mal gefiel mir, was ich da im Spiegel sah. Sogar meine blasse Haut passte perfekt dazu. Und ich freute mich schon auf das Gesicht meiner Mutter.
    Ich schaute Anne durch den Spiegel an und fragte: »Weißt, was aus diesem ohnehin guten Tag einen perfekten machen würde?«
    Anne hob fragend ihre Augenbrauen.
    Â»Wenn du heute bei mir übernachtest.«
    Â»Kein Problem.« Anne lächelte. »Hatte ich ohnehin vor.«
    Ich wirbelte herum, schlang meine Arme um sie und küsste sie mindestens hundertmal, bis sie denken musste, von einem Hund abgeschlabbert worden zu sein.
    Â»Komm«, sagte ich. »Ich muss hier raus. Lass uns irgendwohin gehen. Ich brauch frische Luft.«
    Â»Mir ist immer noch schlecht«, sagte Anne.
    Â»Von der Tüte?«
    Â»Nein, von der Nadel.«
    Wir rannten wie junge Hunde durch den Park, versuchten uns gegenseitig zu fangen, ließen uns ins Gras fallen, standen wieder auf, rannten weiter, bis wir nicht mehr konnten. Erst dann gingen wir wieder zu mir und legten uns auf mein Bett. Wir brauchten eine Weile, bis wir mit Kichern und Lachen aufhören konnten und uns beruhigt hatten.
    Â»Weißt du noch, wie wir am Meer waren?«, fragte ich in die herrschende Stille. Ich spielte mit Annes Haaren, wickelte eine Locke auf meinen Zeigefinger und wieder ab. Sie hatte so weiche Haare. Ihr Kopf lag auf meinem Bauch wie eine kleine Sonne, die nur für mich strahlte und nur mir ihre Wärme schenkte.
    Â»Ja«, sagte Anne. »Werde ich nie vergessen.« Sie drehte sich um, legte ihre Hände auf meinen Bauch und darauf ihren Kopf und schaute mir in die Augen. Sie lächelte und ihre Wangen waren gerötet.
    Â»Ich fand unser Windrad schön«, sagte ich. »Wie es da im Wind surrte. Brrr. Dazu das Wellenrauschen, und der leichte Wind, der über unsere nackten Körper strich.«
    Â»Aber das Wasser war saukalt«, sagte Anne.
    Ich lachte und ließ Annes Kopf auf meinem Bauch hüpfen.
    Â»Und – iihhh – diese ekligen Glibberdinger am Strand«, sagte Anne. »Diese Quallenreste oder was das war.«
    Â»Ja.« Ich schaute Anne an und strich ihr über ihr Haar. Sie wurde mit jedem Tag schöner. Wie ungerecht das Leben war. Ich wollte von mir auch behaupten können, dass ich schöner wurde, wenigstens fraulicher. Aber bei mir war es eher umgekehrt. Anne fand mich schön, ohne Widerrede. Außerdem war ich lustig und brachte sie zum Lachen wie sonst niemand, behauptete sie. Und ich konnte Geschichten erzählen, und Anne hing mir dabei mit ihren Blicken an meinen Lippen, dass ich manchmal so durcheinander geriet, dass ich nicht mehr weitererzählen konnte. Ich musste sie dann küssen – auf ihre warmen, immer rosigen Wangen, auf ihre immer

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