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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Das Verlangen war so groß, so übergroß. Aber es ging vorüber. Wie alles. Fast alles.
    Irgendwie ist es doch noch da. Ich kann es nicht vergessen und es beeinflusst mein Leben bis heute. Und meine neue Beziehung. Ist sie dadurch gefährdet?
    Aber ich hab so Schiss davor, alles noch einmal zu durchleben. Kannst Du mir einen Rat geben? Was ist, wenn dabei etwas in mir zerbricht und die Teufel wiederkommen!? Soll ich Dr. Uschasnik um Rat fragen? Oder Kevin? Oder meine Mum? Oder soll ich es einfach tun?
    Jo! Hab keine Angst! Du bist Herrin über dich selbst und dein Leben! Und du alleine entscheidest, was du tust oder nicht tust und was gut für dich ist und was nicht. Ja, ich weiß das, hab ich oft genug gehört und gesagt bekommen. Und ich weiß auch, dass es noch da ist, dass ich noch nicht alles losgelassen habe. Die Albträume sind nämlich immer noch da. Weniger zwar und auch nicht mehr so heftig. Aber sie sind da. Also ist es noch da. Und irgendwoher muss es ja kommen, dass ich so an Deschda klammere. Und woher sonst, wenn nicht von damals! Somit wäre es nur fair ihr gegenüber, wenn ich alles aufschreibe. Und ich werde Deschda es lesen lassen! Sie soll die ganze Wahrheit über mich erfahren. Keine Geheimnisse! Ich schreib alles so auf, wie es damals gewesen ist, ohne Lüge, ohne etwas wegzulassen, ohne etwas zu beschönigen. Einfach die ganze, ungeschminkte Wahrheit. Wie ich es erlebt habe, Stück für Stück. Und wenn es dann jemand liest und nicht damit klarkommen sollte, dann soll er es eben sein lassen.
    Ich habe das Gefühl, dass genau das mir helfen wird: Dass jemand meine Geschichte liest, der sie nicht kennt und der nichts damit zu tun hat, und der mich liebt und ich ihn. Ja, ich glaube, nein!, ich bin mir sicher, dass ich das tun muss.
    Ich melde mich!
    Wäre schön, mal wieder was von Dir zu hören.
    Gruß und Kuss
    Jo

DIE ASCHENWELT
    Ich lag auf dem Grünstreifen einer vierspurigen Straße, die meine Stadt zerschneidet und schielte in den blauen Himmel, der mich mit weichen Wattewolken anglotzte. Ich liebte diesen Platz, ein Minipark zwischen Motorenlärm und Gestank. Hier störte mich niemand, denn in Spießerköpfen war kein Platz, sich vorzustellen, dass man hier entspannen konnte. Zwischen all dem Müll. Ab und an erntete ich ein Kopfschütteln von der anderen Straßenseite oder ein »Hey, du Assi!« aus einem vorbeifahrenden Auto geschrien, vorzugsweise aus dicken Daimlern. Ich zeigte ihnen den Mittelfinger – unwissendes Pack. Im Herbst kamen hier manche her, die das Tageslicht sonst nie sehen, krochen aus ihren Löchern und suchten die kleinen Pilze, die sie in eine andere Welt führten.
    Ich zog noch einmal an meinem Joint, verbrannte mir die Fingerkuppen und schnippte den Rest auf die Straße. Ein Fahrzeug fuhr darüber und versprühte hinter sich die Funken meines Freundes.
    Gleich war es soweit. Der Vorhang lüftete sich.
    Der Bilderbuchhimmel verblasst und weicht einer schmutziggrauen Leinwand, einem überdimensionierten Kartoffelsack gleich, aufgehängt, um die Sonne zu verbergen. Es wird dunkel und winterkalt. Der Motorenlärm verebbt, die Bäume und Gräser verwelken, die Häuserfluchten stürzen in sich zusammen und verkommen zu bloßen Umrissen, schwarz auf grau, wilde Scherenschnitte. Lose Enden von Stromleitungen ragen wie tote Spinnenbeine in den Himmel. Es stinkt verbrannt, nach Verwesung, nach Tod. Und alles ist von einer dicken Schicht Asche bedeckt. Das ist die Aschenwelt. Eines Tages tauchte sie einfach auf. Ich hatte vergessen, wann. Und warum. Ich wusste nur, dass sie mich mit ihrer makaberen Schönheit anzog und, dass das Grauen in ihr hauste.
    Vereinzelt schleichen Gestalten durch die Trümmer, in Stofffetzen gehüllt, verschmutzt, mit gebeugten Häuptern. Bei jedem noch so winzigen Geräusch zucken sie zusammen, schauen sich um und verschwinden eilig zwischen den Scherenschnitthäusern.
    Ich stehe auf und beobachte das Treiben, sauge alles in mich ein, sehe eine Welt, die niemand sonst sehen kann. Außer mir.
    Und Anne.
    Anne. Mein Leben. Meine Liebe.
    In meiner Hosentasche trug ich ein Bild von ihr, dass ich sie immer sehen konnte, auch wenn sie nicht bei mir war. Es zeigte eine glückliche Anne, an einem sonnigen Tag am Meer. Ihre blauen Augen glichen dem makellosen Himmel über ihr und ihre Haare ließen sogar die Sonne erblassen.
    Nichts war

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