Aschenwelt
kompletten Küchenkeramik eingedeckt.«
Anne kicherte.
»Find ich nicht lustig!«
»Ok, enschuldige.« Anne räusperte sich. »Was machen wir denn nu?«
»Von hier weggehen erstmal«, sagte ich.
Wir schlichen aus dem Haus. Aus der Küche hörte ich, wie jemand die Scherben zusammenkehrte. Ob Kevin noch da war wusste ich nicht, interessierte mich auch nicht. Seit heute war er für mich komplett gestorben â noch verstorbener als gestorben. Dass er sich mit meiner Mutter verbündete war ein Schritt, der zuweit ging. Und dass die beiden mir Anne wegnehmen wollten, würde ich ihnen niemals verzeihen.
»Wo wolln wir denn heut hin?«, fragte Anne drauÃen auf der StraÃe, wo die Sonne auf uns niederbrannte als hätte sich das Wetter der Tropen hierher verirrt.
»Ich hab keine Ahnung«, sagte ich. »Erst mal weit weg von diesem Norman BatesHaus.«
»Was fürn Haus?«
»Psycho. Verstehst du?«
Anne schaute mich begriffsstutzig an und ich winkte ab.
»ScheiÃegal. Irgendwohin eben. Lass uns heute mal Bus fahren.«
Wir steuerten die nächstgelegene Haltestelle an, warteten schweigend, stiegen in den Bus und fuhren in die Innenstadt. Dort angekommen geschah jedoch etwas, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Wir standen auf dem heiÃen Asphalt, der Bus fuhr eben weg und lieà uns in einer Abgaswolke stehen. Ich sah schräg hinter mir aus dem Augenwinkel etwas Schwarzes vorbeihuschen. Ich fuhr herum und wunderte mich noch, warum ich mich so erschreckt habe. Und genau in diesem Augenblick ändert sich alles. Die Bäume verlieren mit einem lauten Rasseln ihre Blätter und erstarren zu kahlen Gebilden, die ihre knorrigen Finger in den Sackleinenhimmel strecken. Die Gebäude zerfallen unter groÃem Lärm, alles ist plötzlich von Asche bedeckt. Und Anne und ich stehen mitten in der Aschenwelt. Es ist wieder passiert. Ohne Droge, ohne Traum, am helllichten Tag. Und diesesmal ist Anne dabei, wie vor einigen Tagen in unserem gemeinsamen Traum.
»Krass.« Das ist alles, was Anne herausbringt.
Ich selbst kann kein Wort sagen, weil meine Kehle wie zugeschnürt ist. Ich kann kaum atmen und drehe mich nur im Kreis und schaue mich um.
»Wie ist jetzt das passiert?«, fragt Anne.
»Ich weià nicht«, sage ich. »Ist wie beim letzten Mal.« Meine Stimme klingt brüchig.
»Wie in dem Traum«, sagt Anne.
»Ja, wie in dem Traum«, flüstere ich. Ich habe Angst. Lähmende Angst davor, wieder ohnmächtig zu werden und Stunden später aufzuwachen und nicht zu wissen, was geschehen ist.
»Passt du auf mich auf?«, bitte ich Anne.
Anne nickt. Sie ist aber genauso angespannt wie ich.
»Da waren doch grade noch überall Leute hier«, sagt sie. »Wo sind die ân alle hin?«
»Keine Ahnung.«
»Versteh ich alles nicht«, sagt Anne.
»Ich auch nicht.«
Wir erschrecken beide, als wir das schrille Pfeifen hören, was das Kommen der Teufel ankündigt. Ich suche fieberhaft nach einem Versteck, aber es gibt nirgends eines.
»Lass uns kämpfen«, sagt Anne, als die ersten Rauchsäulen um die Ecke kommen und sogleich auf uns zusteuern.
Ich kann sie nur stocksteif anstarren, ich höre nicht, was Anne mir zuruft. Ich sehe die Rauchsäulen auf uns zuschieÃen, und ich kann mich nicht bewegen. Und ich sehe, wie die Teufel Anne anspringen, und ich kann nichts tun. Sie verbeiÃen sich in ihre Schultern, in ihre Arme, ihre Beine. Anne schreit, und ich kann nur hilflos zuschauen. Anne schreit um ihr Leben. Die Teufel haben sie fest im Griff, reiÃen sie um und schleifen sie davon. Ich sehe zu, wie sie mit Anne hinter dem nächsten Häuserblock verschwinden und anschlieÃend das schrille Pfeifen und Flüstern verstummt. Erst dann kann ich meine Lähmung abschütteln und muss erst tief Luft holen, bevor ich zu ersticken drohe.
»Anne!«, schreie ich. »ANNE!« Immer wieder. Aber ich bekomme keine Antwort.
Ich verstehe nicht, was geschehen ist, warum ich mich nicht rühren kann, warum ich Anne kampflos den Teufeln überlassen habe. Ich sinke zusammen, in die Asche, die sich darauf um mich her kurz erhebt und sich dann wieder senkt und von der Störung erholt. Ich bin nicht in der Lage, Anne zu folgen und sie zu retten. Ich bin schwach und machtlos. Mein Beutelchen mit der Pfeife drückt in meine Seite, als würde es sich melden und laut
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