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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timon Schlichen Majer
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Konto käme.
    Ich setzte mich vor meinen Schminkspiegel und dachte, ein Gespenst zu sehen.
    Â»Gott, wie seh ich denn aus!«
    Â»Hübsch wie immer«, sagte Anne.
    Â»Blödsinn! Ich seh schrecklich aus!«
    Ich hatte mich seit Tagen nicht mehr im Spiegel angeschaut. Zum einen war es mir noch nie sonderlich wichtig gewesen, mich zu schminken oder aufzutakeln wie andere Frauen, zum anderen hatte ich es die letzten Tage oder gar Wochen schlicht vergessen. Ich sah grau aus, und abgemagert. Um meine Augen zeigten sich dunkle Ringe, so blauschwarz wie gemalt. Meine Haare lagen wie Stroh auf meinem Kopf, verfilzt und platt. Das Rot war auch schon stark ausgeblichen. Ich bürstete sie erst einmal eine halbe Stunde lang und blickte dann überrascht und leicht besorgt auf den Berg Haare, den ich aus der Bürste zupfte. Anschließend band ich mein Stroh zu einem Zopf, kramte aus dem hintersten Eck einer Schublade altes, eingetrocknetes MakeUp und versuchte, damit meine Augenringe und die graue Haut zu verbergen, was überraschend gut gelang.
    Â»So besser?«, fragte ich.
    Â»Du weißt, dass ich dich immer hübsch finde«, sagte Anne.
    Â»Du bist mir ja eine große Hilfe.« Ich schaute wieder in den Spiegel. Alles nicht so schlimm. Die größten Sorgen machte mir ohnehin mein wackeliger Schneidezahn. Er wackelte immer stärker und schien tatsächlich ausfallen zu wollen. Ich sollte doch bald zum Zahnarzt gehen.
    Mit meinem Spiegelbild war ich fast zufrieden. Ein braves Mädchen schaute mich an. Nicht ganz. Ich entfernte noch die Sicherheitsnadel aus meinem Ohr, zog meine weite Arbeiterhose und das verzogene TShirt aus und warf ein Kleidchen über mich, das mir jetzt viel zu weit war. Egal. Jetzt war ich genug verkleidet, um meinen Eltern gegenüber treten zu können.
    Es war fast Nacht und beide saßen, wie an jedem Abend ihres Lebens, in der Wohnhalle und gingen ihren Abendbeschäftigungen nach. Mein Vater saß in seinem Sessel, las Zeitung und rauchte eine Pfeife, meine Mutter strickte irgendeinen dämlichen Pulli oder eine Jacke, und im Hintergrund lief leise Musik. Heute war es Jazz oder so etwas ähnliches, ruhig und gediegen. Meist lief Klassik, rauf und runter. Ganz normaler Spießeralltag. Ich hätte am liebsten in die Mingvase gekotzt. Aber ich wollte braves Mädchen spielen, immerhin ging es um Geld, und nicht gerade wenig.
    Ich setzte mich auf einen Stuhl, seufzte gespielt fröhlich und zauberte mir ein Lächeln ins geschminkte Gesicht.
    Â»Habt ihr einen schönen Abend?«, fragte ich.
    Beide schauten mich einigermaßen perplex an. Meine Mutter strahlte wie eine ihrer Porzellanpuppen. Mein Vater legte seine Zeitung weg und nahm seine Pfeife aus dem Mund, und meine Mutter packte ihre Strickarbeit in den dazugehörigen Korb. Ich kämpfte den Brechreiz nieder und lächelte weiter. Aber sie schwiegen, als würde ihnen nichts einfallen, was sie mir sagen sollten. Also musste wohl oder übel ich das Gespräch am Laufen halten.
    Â»Wie wars auf der Arbeit?« Ohne ihre Antworten abzuwarten, hängte ich dran, dass ich einen wunderbaren Tag hatte, mit tollen Schulerlebnissen und noch tolleren Sachen mit irgendwelchen fiktiven Freundinnen. Sie glaubten es mir, freuten sich für mich, und ich freute mich über meine gelungene Lüge.
    Â»Ach so«, fügte ich noch an, »mit Dr. Uschasnik läufts auch super. Er meinte, dass er sehr stolz auf mich sei, dass ich gute Fortschritte mache und wir mit der Therapie bald fertig seien.«
    Meine Mutter seufzte und sagte, wie sehr sie sich darüber freue und wie froh sie sei, dass endlich wieder alles seinen normalen Gang gehe. Einzig mein Vater musterte mich misstrauisch und schwieg sich aus.
    Â»Ja, das ist echt toll. « Ich lächelte und zupfte mein Kleidchen über den knochigen Knien zurecht.
    Â»Und was ist wirklich?«, fragte mein Vater in die aufkommende Stille.
    Meine Mutter bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, der ihn aber nicht zu interessieren schien. Regungslos ruhten seine Augen auf mir.
    Â»Nichts«, behauptete ich. »Ich wollte euch nur mal wieder sagen, wie es mir geht. Die letzten Wochen waren ja eher angespannt zwischen uns.« Ohweia, das konnte ja heiter werden. Mein Vater hatte Verdacht geschöpft und ich feilte in Gedanken fiebernd an der weiteren Gesprächstaktik. Meine Mutter hatte ich im Sack, aber für meinen Vater bedurfte

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