Aschenwelt
und schüttelte dann den Kopf, als Kevin mit mir zur Polizei gehen wollte. Ich trottete davon, in Schlangenlinien. Mein Schwindelgefühl wurde immer schlimmer. Ich wollte nur noch nach Hause. Ich taumelte über den Asphalt. Kevin folgte mir, war bald hinter mir, bald neben mir. Er redete auf mich ein, aber ich verstand kein Wort. Ich sah nur den schwankenden Boden vor mir. Ich sah graue und schwarze Steinchen, die sich allmählich verflüssigten, wie Blei auf einem Löffel über einer Kerze. Die StraÃe wurde weich und ich sank mit meinen FüÃen darin ein, immer tiefer. Ich zog einen Fuà aus der zähen Masse und setzte ihn einen Schritt weiter. Und sank nur noch tiefer, bis zu den Knien. Ich wollte weiter, konnte meine Beine aber nicht mehr bewegen. Ich sank immer tiefer in den Boden. Neben mir stand Kevin. Er schien über den flüssigen Asphalt gehen zu können, wie Jesus übers Wasser. Ich war schon bis zur Brust darin versunken. Kevin rief mir etwas zu und streckte mir seine Hand entgegen. Aber ich konnte sie nicht erreichen. Etwas hatte meine Beine gepackt und zog mich nach unten. Ich sah noch Kevins entsetztes Gesicht, dann schwappte der Asphalt über mir zusammen. Es wurde dunkel und ich sank noch tiefer hinab, gezogen von tausend Teufelklauen. Ich bekam keine Luft mehr, der Asphalt strömte in meine Ohren, in meine Nase, in meinen Mund, in meine Augen. Ich lieà los.
Jo legte den Stift weg. Ihre Augen brannten, ihre Finger waren geschwollen und sie fühlte sich wie ein ausgekippter Mülleimer, an dessen Boden noch ein bedeutender, stinkender und feuchter Rest klebte. Festgepappt und unwillig, sich von alleine zu lösen. Ein kräftiger Wasserstrahl könnte die ekelerregende Brühe herausspülen, aber Jo war dazu nicht mehr fähig. Bis hierhin und nicht weiter. Schon beim bloÃen Gedanken an all das, was damals weiter geschehen war, zitterte sie so sehr, dass sie nicht in der Lage war, auch nur ein Wort davon zu Papier zu bringen.
Sie hob vorsichtig die Decke und schlüpfte darunter hervor. Sie hoffte, Nadeschda dabei nicht zu wecken, die mit ruhigem und gleichmäÃigem Atem neben ihr schlief. Nadeschda schien überall schlafen zu können, sogar in ihrer ersten Nacht in einem fremden Bett, bei angeschaltetem Licht und jemandem neben sich, der mit seinem Füller über raues Papier kratzte. Dieses Geräusch empfand Jo in der Stille der Nacht oftmals als so laut, dass sie immer wieder besorgt zu Nadeschda hinüber schaute, die aber friedlich weiterschlief.
Jo legte das Buch auf ihren Schreibtisch, wickelte sich eine ausgefranzte Wolldecke um und knipste das Licht aus. Sie konnte jetzt nicht schlafen, obwohl sie vom vielen Schreiben erschöpft war. Zu viele Bilder schossen durch ihren Kopf, blitzten auf, verblassten wieder, um von anderen abgelöst zu werden. Bilder, die sie lange vergessen und überwunden glaubte. Aber sie waren noch da, als wäre alles erst gestern gewesen. Und sie quälten sie nach wie vor. Nichts hatte sie überwunden, überhaupt gar nichts. Sie zweifelte daran, ob sie das alles jemals vergessen und begraben konnte.
Sie schlich auf den dunklen Flur. Durch den Spalt der angelehnten Küchentür zwängte sich ein Lichtstrahl und erhellte den Flur gerade so weit, dass Jo kein Licht zu machen brauchte. Kevin schien noch wach zu sein, obwohl die Nacht langsam schon ihrem Ende entgegen ging.
Jo drückte die Tür auf und trat in die hellerleuchtete Küche. Kevin saà am Tisch und blickte in sein Notebook. Als er Jo sah, klappte er es hastig zu und setzte eine unschuldige Miene auf.
»Schon wach?«, fragte er.
»Immer noch«, erwiderte Jo. »Und du?«
»Auch immer noch.«
»Singlebörse?«, fragte Jo, während sie sich einen Tee aufsetzte.
»Ãh?«
»Du sitzt die ganze Nacht am Rechner und klappst ihn so schnell zu, als hättest du ein Geheimnis, oder etwas zu verbergen, was dir peinlich ist.«
»Mir ist nichts peinlich.« Jo glaubte ihm aufs Wort.
»Jetzt komm schon«, sagte sie, »mir kannst du es doch erzählen. Hast du mit einer gechattet? Die ganze Nacht? Wie heiÃt sie? Wie sieht sie aus?«
»Ich hab mit keiner gechattet.«
»Dann nur Bilder angeguckt?«
»Nein, auch nicht.«
»Willst du auch einen Tee?«
»Nein, danke«, sagte Kevin.
Jo machte sich einen und setzte sich zu ihm an den Tisch.
»Wie
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