Aschenwelt
einzig die Aufzugtür, die aber fest verschlossen war. Dann gab es noch eine weite Glastür, die auf die Dachterrasse führte. Sie war geöffnet. Doch was sollte ich auf der Dachterrasse! Mich vom Dach stürzen? Mochte sein, dass der Tod besser war, als in den Fängen dieses Monsters zu sein, als das der Mann sich jetzt entpuppte. Wie hatte ich mich nur so täuschen können. Ich hätte auf mein Gefühl hören sollen, das mich von Anfang an gewarnt hatte. Doch nun war es zu spät. Viel zu spät.
Dachterrasse.
»Das ist aber verboten, Menschen zu kaufen«, unternahm ich noch einen erbärmlichen Versuch, mit ihm zu diskutieren. Vielleicht konnte ich ihn ja umstimmen. »Jetzt hören Sie doch zu. Mein Vater hat viel Geld. Wir könnten ihn anrufen.« Ich merkte, wie meine Stimme immer schwerer wurde. Ich schaute noch einmal auf das Glas in meiner Hand, das mir in dem Moment herausrutschte und auf dem Steinboden in ein Dutzend kleine Teilchen zerschellte.
Der Mann kriegte sich vor Lachen kaum mehr ein.
»Du denkst tatsächlich«, er unterbrach sich, weil er von einem neuerlichen Lachanfall geschüttelt wurde. »Du mit deiner ReicherPapaNaivität, du denkst tatsächlich, die ganze Welt wäre gut und stünde dir offen. Nein, liegt dir zu FüÃen! Fürs reiche Töchterchen. Mir ist schlecht.« Er würgte.
»Nein«, sagte ich. »Das denke ich nicht.«
Der Mann lachte wieder laut auf und schüttelte den Kopf. »Ihr Junkies habt sie echt nicht mehr alle.«
Dachterrasse.
Der Mann krümmte sich gerade vor Lachen. Diesen Augenblick nutzte ich und wollte durch die weit geöffnete Glastür rennen. Was ich dann machen sollte, würde sich ergeben. Vielleicht gab es eine Feuerleiter, hoffte ich. Doch ich hatte kaum einen Schritt getan, da wurde ich von einer Eisenhand, die sich in mein Genick schraubte, festgehalten und herumgerissen. Ich sah eine riesige Faust auf mich zufliegen, die zu einem muskelbepackten Sicherheitsmann in schwarzem Anzug gehörte. Der Schmerz explodierte wie eine Supernova. Ich sah blitzende Sterne in meinem Gesichtsfeld. Und ich spürte, wie mein wackliger Schneidezahn lose in meinem Mund lag. Und dann verschwamm alles um mich her, kippte weg, wurde dunkel, bis alles schwarz war und ich nichts mehr hörte und nichts mehr fühlte.
Ein roter Blitz stach in meine Augen, bevor sich gleiÃend blaues Licht ausbreitete. Ich blinzelte und brauchte geraume Zeit, bis ich mich an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatte. Ãber mir an der Decke hing eine Leuchtstoffröhre, wie ein Laserschwert. Sie surrte monoton und blendete mich. Mein Gesicht tat weh. Ich tastete es ab, lieà es aber gleich wieder bleiben, weil ich bei jeder Berührung der Schwellungen laut aufschreien wollte.
Ich setzte mich auf und schaute mich um. Ich befand mich in einem engen Raum mit kahlen Betonwänden, von denen die bläulichgrüne Farbe abblätterte. Es gab kein Fenster, nur eine verrostete Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Pritsche, auf der ich saÃ. Auf der Pritsche lag am Kopfende in der Ecke ein hartes und strohiges Kissen, das dunkle Blutflecke aufwies, wahrscheinlich von den Wunden in meinem Gesicht. AuÃerdem hatte man mir eine löchrige Decke überlassen, viel zu dünn für die Kälte hier drin, und sie verbreitete einen modrigen Geruch. Neben der Tür stand ein Eimer.
Ich fröstelte und zog die stinkende Decke enger um mich. Dann versuchte ich mich zu erinnern, wie ich hier in diesem Loch gelandet war. Aber es blieb leer in meinem Kopf, nur hämmernde Schmerzen. Ein Gefängnis? Doch wo! Alles, an was ich mich erinnern konnte, war der Mann im Jogginganzug und die riesige Faust, die mein Gesicht zermatschte. Hielt der Mann so seine Nutten? Ich zog meine Beine an und wickelte die Decke noch fester um mich. Meine Zähne klapperten vor Kälte, meine Zunge fuhr durch die Zahnlücke. ScheiÃe. Und meine Haut juckte an jeder einzelnen Stelle. Ich kümmerte mich aber nicht darum, da ich die Würmer nicht sehen wollte. Stattdessen kämpfte ich gegen einen Brechreiz, der in mir aufstieg. Solange, bis er mich schlieÃlich übermannte und ich zum Eimer stürzte.
Kaum war ich zurück auf der Pritsche, erlosch die Leuchtstoffröhre und tauchte mich in völlige Dunkelheit. Die Stille drückte auf meine Ohren, bis ein Flüstern zu mir drang. Es steigerte sich
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