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Ascheträume

Ascheträume

Titel: Ascheträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Temporin
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Autowracks. Es war kein Albtraum, sosehr ich mir auch wünschte, es wäre einer. Es waren Dutzende Albträume zusammen, und ich war ganz schrecklich wach.
    Da hörte ich eine Stimme: »He! Hierher!«
    Voller Hoffnung drehte ich mich um.
    Auf einem Eisenbahnwaggon, der entgleist und explodiert zu sein schien, erkannte ich die Silhouette eines Jungen.
    Er stand da in einem weißen T -Shirt, das sich im Wind bauschte. Er streckte die Hand nach mir aus.
    Das reichte mir, um zu verstehen, dass mein Leben heute nicht enden sollte.
    Ich lief zu ihm und versuchte dabei, nicht an die Zombies in meinem Rücken zu denken. Das Wissen, dass mir jemand helfen konnte, gab mir Kraft.
    Der Gedanke, dass wir beide sterben könnten, kam mir gar nicht. Und selbst wenn, immerhin wäre ich dann nicht alleine gewesen.
    Ich kam zu dem umgestürzten Waggon und klammerte mich an einen Vorsprung, um hinaufzuklettern. Ich spürte, dass mich etwas am Bein schnappen wollte, aber die Hand des Jungen, die aus dem Nichts hervorschoss, war stärker.
    Er packte mich am Handgelenk und zog mich hoch. »Los! Schnell!«
    Mit einem Fußtritt konnte ich mich aus der aschigen Umklammerung lösen und hielt mich mit beiden Händen am Arm des Jungen fest. Ich nahm alle Kraft zusammen und sprang mit seiner Hilfe auf den Waggon.
    Ich stand unter Schock und konnte kaum glauben, dass ich noch heil war.
    Der Junge legte seine Hände auf meine Schultern. Es war eine sanfte, entschlossene Berührung. Erst jetzt konnte ich den Kopf heben und ihn ansehen.
    »Alles okay?«, fragte er.
    Er war wundervoll. Von entwaffnender Schönheit. Er hatte ein ebenmäßiges, weiches Gesicht, und als er ein Lächeln versuchte, bildeten sich zwei kleine Grübchen um seine Mundwinkel. Dann wurde er ernst.
    »Alles okay?«, fragte er noch einmal, und erst jetzt nahm ich seine Stimme so richtig wahr. Tief und ruhig.
    Vor lauter Angst konnte ich nicht antworten. Ich blickte nach unten, um zu sehen, ob uns die Aschekreaturen noch immer auf den Fersen waren.
    Eigentlich hielt ich sie für zu dumm, um auf den Waggon zu springen, aber wenn sie sich weiter so aufeinanderstapelten wie bislang, hätten sie es bald geschafft.
    »Also – alles okay?«, fragte er zum dritten Mal und stieß mich dabei leicht an, ohne sich um Höflichkeit zu bemühen.
    »Ja!«, sagte ich und rückte von ihm ab.
    Er mochte ja hübsch sein und mich gerettet haben, aber ich ließ nicht zu, dass er so mit mir umging.
    Irritiert schüttelt er den Kopf. Dann schlug er sich auf die Schenkel und sah mich verdrossen an. Das schwarze Haar fiel ihm fast in die Augen, und mit seiner hellen, fast weißen Haut, sah er aus wie ein Engel. Ein empfindlicher, arroganter Engel.
    Ich wollte schon gereizt auf sein irritierendes Schweigen reagieren, aber seine Augen schafften es irgendwie, mich zu beruhigen. Absolut faszinierend. Seine Augen zogen mich magnetisch an. Sie mussten Schreckliches gesehen haben, dennoch waren auch Spuren von Sanftheit darin zu erkennen. Als er sie zusammenkniff, um meine Gedanken zu erraten, sah ich ihre Farbe.
    Besser gesagt ihre Farben.
    Denn seine Augen waren ein schimmernder Regenbogen.
    Sonnenstrahlen, die vom Wasser reflektiert wurden.
    Sie schillerten in jeder denkbaren Farbschattierung wie die Flügel eines Schmetterlings.
    Und dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Ich würde mich an deiner Stelle nicht so nah an den Rand stellen«, sagte er.
    Ich blickte auf meine Füße und sah, dass ich praktisch auf der Kante stand. Unter mir versuchten die Aschekreaturen, mein zerrissenes Kleid zu schnappen. Ich schrie auf und machte einen Schritt weg vom Rand. Fast wäre ich gegen den Jungen gestoßen.
    »Tja, vielen Dank, dass du mich gerettet hast«, sagte ich und versuchte dabei ebenso flapsig zu klingen wie er.
    »Nichts zu danken«, sagte er und runzelte die Stirn.
    Ein besorgter Ausdruck legte sich über sein schönes Gesicht. »Was ist los mit dir?«, sagte er und versuchte mich festzuhalten.
    Mir drehte sich der Kopf. Ich verlor das Gleichgewicht. Genau dasselbe Gefühl hatte ich gehabt, bevor ich eingeschlafen war.
    Nicht einmal die Angst, vom Waggon zu fallen, konnte mich zur Besinnung bringen, und das letzte Bild, an das ich mich erinnerte, während ich fiel, waren die weiten Augen des Jungen und deren tausend Farben. Ich wollte mich noch festhalten, aber ich glitt unweigerlich in die Dunkelheit hinein.
    Ein Schwindel überkam mich und riss mich mit sich.

Eine Stimme holte mich in die

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