Asharas Rückkehr - 19
alles zu kompliziert, und auch wenn es Margaret klar wurde, dass das bevorstehende Ereignis direkte Auswirkungen auf sie selbst haben würde, wünschte sie, es wäre schon vorbei.
Sie stand auf, badete und zog ihre saubere Kleidung an. Sie durchsuchte ihre Schachteln mit Handschuhen, die Piedra am Abend vorher zurückgelassen hatte, bis sie ein Paar kurze, seidene fand, die ihr passten. Dann machte sie sich auf die Suche nach Dio, ohne darauf zu achten, dass ihr Magen vor Hunger knurrte.
Die Alton- Suite bestand aus einer Reihe von Zimmern, die sich zu beiden Seiten des Salons erstreckten, den sie als Erstes betreten hatte, und Margaret stellte fest, dass sie den Lageplan kannte, ohne fragen zu müssen. Sie klopfte an jede Tür, die
geschlossen war, und ging hinein, wenn sie keine Antwort bekam. Zuletzt fand sie Diotinia in einem Schlafzimmer am anderen Ende der Suite. Sie lag dösend in der Mitte eines gewaltigen Bettes, dessen Ausmaße ihre kleine Gestalt zwergenhaft erscheinen ließen. Margaret schluckte schwer. Sie kam sich klein und hilflos und verängstigt vor, und das durfte sie nicht. Dio war eine Empathin, und alles, was Margaret empfand, konnte von ihrer Stiefmutter aufgefangen werden. Davon würde es ihr nicht besser gehen, und Margaret begann sich zu fragen, ob es klug gewesen war, zu kommen.
In einer Zimmerecke rührte sich etwas, und eine Frau trat aus dem Halbdunkel. Sie war von mittlerer Größe, und nach den Falten um Mund und Augen zu schließen, vielleicht sechzig Jahre alt. Sie ging auf Margaret zu, ohne auf dem dicken Teppich ein Geräusch zu machen. »Domna?« Sie flüsterte.
»Ich wollte sehen, wie es meiner Mutter geht.«
»Wie gestern - nicht besser, aber auch nicht schlechter. Möchtet Ihr Euch eine Weile zu ihr setzen? Das wäre sicher ein Trost.« Margaret war sich nicht so sicher, da sie selbst von lebhaften Ängsten geplagt wurde. »Ja.«
»Dann lasse ich Euch eine Weile mit ihr allein. Ich bin nebenan, falls ich gebraucht werde. Ruft einfach nach mir.«
»Aber wie heißen Sie?«
»Ich heiße Katarina di Asturien, und ich bin Heilerin.«
»Danke. Ich setze mich einfach zu ihr.«
Margaret zog sich einen Stuhl ans Bett und nahm Platz. Sie hörte Dios Atem, der ruhig und nicht mühsam ging, was sie ein wenig beruhigte. Sie ließ ihre Gedanken zunächst schweifen, doch dann entschied sie, dass sie sich auf positive Dinge konzentrieren müsse, und so dachte sie an Thetis und
den warmen Wind vom Meer und an den Duft der Azurinen, die vor dem Haus wuchsen. Es gab ihr einen kleinen Stich, als ihr bewusst wurde, dass sie diesen Ort wahrscheinlich nie wieder sehen würde, und sie empfand eine tiefe Sehnsucht nach dem Meer und seinem Geruch. Ein Lied, das die Inselbewohner sangen, kam ihr in den Sinn, es handelte von der Heimkehr nach einer langen Fahrt in einem kleinen Kanu, und sie summte es leise, denn es war freundlich und beruhigend. Dio bewegte sich. »Ich habe geträumt, dass ich wieder auf Thetis war«, murmelte sie verärgert, und ihre kleinen Hände zupften an dem Laken über ihrer Brust. »Ich habe die Blüten der Blumen gerochen und das Salz des Meeres.«
»Ich habe an zu Hause gedacht, Dio, und du musst mich gefühlt haben.«
»Marja! Du bist wirklich hier. Ich habe schon fast befürchtet, dass ich dich nur geträumt habe, obwohl mir Lew versicherte, dass es nicht so ist. Mein Mund ist so trocken«, beschwerte sie sich.
Neben dem Bett stand ein Krug mit einer rosafarbenen Flüssigkeit und ein Glas. Margaret füllte es zur Hälfte, dann hob sie vorsichtig den Kopf ihrer Mutter an und hielt ihr das Glas an die Lippen. Dio trank durstig.
»Wieso trägst du Handschuhe im Haus«, fragte Dio plötzlich. »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Margaret freundlich. Sie stellte das Glas auf den Tisch zurück und stützte dann weiter Dio. Es war ein sonderbares Gefühl, ihre Mutter in den Armen zu halten, diejenige zu sein, die Trost spendete, statt ihn zu empfangen. Margaret wollte sie nicht mehr loslassen, mehr noch, sie wollte ihre Stiefmutter mit Willenskraft wieder gesund machen. »Ich erzähle sie dir ein andermal, wenn du nicht so müde bist.«
»Es könnte sein, dass es kein andermal mehr gibt, Chiya.« »Sag nicht so etwas!« Du darfst einfach nicht sterben!
Wir alle sterben, Marguerida. Das ist eine der wenigen Gewissheiten im Leben. Und wenigstens bist du wieder mit deinem Vater versöhnt, was seit Jahrzehnten ein Herzenswunsch von mir ist.
Diotima Ridenow-Alton - wenn du
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