Ashby House
geführt und ihm gegen seinen Protest, dass dies nun seine Aufgabe sei, eine Tasse Tee eingeschenkt.
»Die Handwerker sind nicht so weit gekommen, wie wir zunächst geplant hatten. Der heftige Wintereinbruch, sehr untypisch für diese Region, hat alles verzögert, und wir haben erst Mitte Februar mit Ihrer Ankunft gerechnet.«
»Ja, unsere Abreise war etwas überstürzt. Wir haben kurzfristig noch Kabinen bekommen.« Laura schaute auf ihreTasse und rührte den mit sechs Löffeln Zucker gesüßten Tee. Steerpikes Blick hatte mit wachsendem Amüsement den Weg ihrer Hand von der Zuckerdose zur Tasse begleitet.
»Die Transportvorrichtung in die oberen Stockwerke kann frühestens in zwei Wochen fertig gestellt werden. Deshalb haben wir für Ihre Schwester den Wintergarten in ein Schlafzimmer verwandelt. Sie haben also im ersten Stock freie Auswahl.«
»Nur im ersten Stock?«
»Hat Ihre Schwester nicht erwähnt, dass der zweite Stock zunächst ungenutzt bleiben soll?«
Es erschien ihr etwas albern, ihm zu erklären, dass sie mit Lucille selten substanzielle Gespräche führte. »Vielleicht hat sie mal so etwas angedeutet …« Sie schenkte ihm ihr reizendstes Lächeln. »Freie Auswahl also. Welches Zimmer würden Sie mir denn empfehlen, Mister Steerpike?«
»Oh, dazu kenne ich Ihren Geschmack zu wenig. Sie haben die Wahl zwischen den Schlafräumen von Lord und Lady Ashby oder einem Gästeraum mit angeschlossenem Bad. Aber selbstverständlich kann ich für Sie auch den Grünen, den Roten oder den Javanischen Salon, das Teezimmer oder die kleine Bibliothek herrichten.«
Bei dem Gedanken an den Geruch staubiger, vergilbter Bücher rümpfte Laura unwillkürlich die Nase.
»Es sei denn, Sie möchten Ihrer Schwester näher sein, dann können wir auch gerne im Erdgeschoss –«
»Nein, das wird nicht nötig sein. Ich will Ihnen nicht zusätzlich Arbeit machen. Warum Möbel hin und her schieben? Ich nehme eines der Schlafzimmer. Haben Sie vor, den Haushalt alleine zu führen?«
»Nein, Harker wies mich an, noch eine Köchin einzustellen. Miss Marsh wird in den nächsten Tagen eintreffen. Aberdie Anweisungen Ihrer Schwester waren sehr präzise.« Seine linke Augenbraue hob sich.
Die britische Skepsis in seinem Blick war fein, aber unverhohlen, und sie war frech, wenn man den Standesunterschied zwischen ihnen bedachte. Es war offensichtlich, dass Laura ihm nichts vormachen konnte. Ohnehin würde er das zerrüttete Verhältnis und den Mangel an zweckorientierter Kommunikation zwischen Lucille und ihr bemerken, wenn er sich länger als zwölf Stunden in Ashby House aufhielt. »Ja. Lucille hat gerne die Fäden in der Hand.«
»So sagt man.« Wieder erschien ihr seine Bemerkung eine Idee zu forsch, doch sie kam nicht umhin, sein dezentes Lächeln zu erwidern.
»Dann schlage ich vor, ich zeige Ihnen die beiden Zimmer.«
»Nicht, bevor Sie in Ruhe Ihren Tee ausgetrunken haben, Mister Steerpike«, sagte Laura, nahm einen Schluck des süßen, heißen Getränks und schenkte ihm ihren sanftesten Augenaufschlag. »Ein starker Tee hält Leib und Seele zusammen.« Etwas Besseres war ihr nicht eingefallen. Dass alle ihre Verführungsversuche an Steerpike verschwendet und sinnlos waren, konnte sie zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht wissen.
Das Herrenschlafzimmer kam für Laura schon wegen der zahlreichen Geweihe und der Wildschweinschädel, die die Wände und die düsteren Ecken zierten, sowie des ausgestopften Bären – zu voller Größe aufgerichtet, eine Tatze erhoben, die Zähne gebleckt – nicht infrage. Hinzu kam der Luftzug aus Richtung der Fensterfront. »Hier bekomme ich Albträume, das weiß ich jetzt schon.« Mehr zu sich selbst fügte sie hinzu: »Es fehlt eigentlich nur noch die Ritterrüstung.«
»Wenn Sie bitte nach links schauen würden …«
Die Ritterrüstung.
Steerpike nahm einen fünfarmigen Kandelaber, bestückte ihn mit Kerzen und zündete sie an.
»Zeigen Sie mir lieber das Zimmer von Lady Ashby.«
»Gewiss, wie Sie wünschen. Ich bin sicher, es wird Ihnen gefallen.« Er ließ sie aus der Tür in den holzgetäfelten Korridor treten und wies ihr den Weg.
»Ehrlich gesagt, bin ich keine Freundin von alten Sachen. Ich hab es lieber neu und modern.«
»Ich fürchte, dann wird eine Umgestaltung vonnöten sein.« Er ging neben ihr den Korridor entlang und blieb vor einer Zimmertür stehen. »Hier sind wir – Lady Ashbys Gemächer. Bitte folgen Sie mir.«
Er öffnete die Tür
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