Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
das?
Dann: Wer bin ich?
»Lena?« Der Junge rüttelte sie sanft. »Alles in Ordnung?«
Was auch immer sie gepackt haben mochte, ließ plötzlich los. »Ja«, antwortete sie ein bisschen atemlos. »Alles in Ordnung … mit mir.« Sie legte sich eine Hand an die pochende Schläfe. »Ich fühl mich nicht besonders.«
»Du hast nichts gegessen«, sagte der Junge. »Und brauchst dringend Schlaf.«
Chris. Es ist Chris. Was stimmt nicht mit dir? Dann rauschte die letzte halbe Stunde plötzlich an ihr vorbei, als wäre ein Staudamm geöffnet worden. Heiße Scham wallte in ihr auf und rötete ihre Wangen. O Gott, warum hab ich das getan? Ich hab doch noch nie jemandem von Karl erzählt. Was ist nur los mit mir?
»Ja, du hast recht.« Tränen brannten ihr in den Augen, und sie biss sich auf die Unterlippe, um einen Schluchzer zu unterdrücken. »Entschuldigung.«
»Kein Problem. Aber schlaf jetzt.« Er kniete sich hin und zog ihr den Schlafsack hoch bis zum Kinn. »Morgen früh fühlst du dich besser.«
Sie schluckte. »Ch-Chris?«
»He, he.« Er tätschelte sie an der Schulter. »Nicht weinen.«
»Ich … « Sie brachte kaum einen Ton heraus. Und fühlte, wie es nass über ihre Wangen lief. »Ich hab solche Angst.«
»He«, sagte er wieder, und dann sagte er nichts mehr und ließ sie einfach ihre erstickten Schluchzer in sein Hemd hicksen.
»’Tschuldigung«, sagte sie schließlich und fuhr sich mit der Hand über die verquollenen Augen. »Tut mir leid.«
»Schon okay.« Er legte ihr die Hand in den Nacken, und sie barg mit einem erleichterten Seufzer den Kopf an seiner Schulter. »Wir haben alle Angst.«
Nicht so wie ich. Du bist nicht dabei, dich selbst zu verlieren. Ein schräger Gedanke, den sie nicht verstand und der sich doch irgendwie genau richtig anfühlte. Außerdem wollte sie ihn nicht loslassen. Sie waren in einer Zeitblase, nicht länger als ein Atemzug und kostbar wie hauchdünnes Glas. Ich bin real; genau jetzt und hier bin ich ich selbst. Sie hatte Angst, sich zu bewegen oder zu sprechen, denn dann würde die Zeit wieder einsetzen, und dieser Augenblick war für immer dahin. Wie vielleicht auch sie. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte sie sich real; es gab kein anderes Wort, das besser beschrieb, wie sie sich fühlte. Als gäben seine Arme ihr nicht nur Halt, sondern auch Gestalt und verhinderten, dass sie auseinanderfiel, in kleine Stücke zersprang. Sie hörte seinen gleichmäßigen Herzschlag, und sein Geruch war … unbeschreiblich.
Es ist Chris. Sie atmete seinen Geruch ein, dabei drückte sie sich enger an ihn. So riecht Chris, und er ist real, wie diese Situation und ich auch.
Unwillkürlich – was für eine Lüge, sie wollte es doch – fasste sie nach oben. Ihre zitternden Finger fuhren ihm sacht über den Nacken, und sie hörte, wie er bestürzt nach Luft schnappte.
»Lena, ich … «, sagte er. »Wir … «
»Bitte … bitte«, flüsterte sie. Ihr Körper bebte, sirrte, wurde heiß. Sie fuhr ihm mit dem Mund über die Haut, spürte, wie seine Halsschlagader gegen ihre Lippen pulsierte, schmeckte den Salzgeschmack auf ihrer Zunge. Bei dieser Berührung gab er einen Laut von sich, der sehr tief aus seiner Kehle drang. Sie fühlte an seine Brust gebettet, wie er erschrak, und das Zittern, das urplötzlich seinen Körper durchlief. Eine Hand in seinen Nacken gelegt zog sie seinen Mund auf ihren, und dann küssten sie sich. Sie küssten sich unaufhörlich, seine Lippen waren warm und schmeckten nach süßen Orangen, darauf konzentrierte sie sich, als sie sich willig seinem Mund und seinen Händen in ihrem Haar hingab, den sengenden Fingern, die ihre Wangen, ihren Nacken liebkosten. Ihre Haut prickelte am ganzen Körper, sie lechzte nach seinem Geschmack, stöhnte, beide atmeten sie ineinander, und dann sagte er ihren Namen, was sie fast noch notwendiger brauchte als die Luft zum Atmen.
Ja, das ist real, und ich bin Lena, ich bin Lena, ich bin …
»Lena.« Er wich zurück, war außer Atem. »Nein. Ich kann nicht. Tut mir leid. Aber das sollten wir nicht tun. Das bin ich nicht.«
Aber ich bin es. »Doch, das bist du.« Ihre Stimme brach. »Nicht aufhören, bitte nicht.«
»Lena.« Er klang atemlos. Seine Hände umfassten ihre Arme. »Es ist nicht richtig.«
»Doch, das ist es.« Sie hörte, wie flehentlich sie klang, aber es war ihr egal. »Chris, es muss nicht mehr bedeuten als das, was es ist. Es ist nicht falsch.«
»Lena, ich … ich kann einfach nicht. Das bin ich nicht«,
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