Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
mit dem Handrücken etwas Schneckenschleimartiges vom Kinn wischte.
»Lass es gut sein.« Tom legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Wir mussten es so machen, Luke. Damit kein Blut an seine Kleidung kommt.« Doch insgeheim war er wütend. Ein ordentlicher Schwitzkasten, und der Junge wäre nach zehn Sekunden ohnmächtig gewesen. Mit einer ruckartigen Drehung nach rechts und links den Hals umgedreht und Schluss. Aber Weller hatte den Jungen mit Absicht leiden lassen. Diese Sorte Typen kannte Tom auch aus der Armee.
Mach dich deshalb nicht verrückt. Sein Herz klopfte wie wild. Er zwang sich, ruhiger zu werden, spürte, wie der Adrenalinschub nachließ und sich sein Puls verlangsamte. Er ist ein Arschloch, aber er kennt die Mine und Rule. Du bist ebenso sehr auf ihn angewiesen wie er auf dich.
»Okay, ziehen wir ihm die Jacke und das Hemd aus, aber von der Hose würde ich die Finger lassen.« Schnaubend erhob sich Weller aus dem Schnee. »Chucky hat sich ein bisschen eingekackt.«
Weller genoss das eindeutig zu sehr. »Ich mache das«, sagte Tom. Er wälzte den Toten herum, öffnete rasch den Reißverschluss der Jacke, zog ihn von der Hüfte aufwärts aus und nahm ihm neben der Kleidung auch die Taschenlampe, das Messer, das Gewehr und eine volle Schachtel mit Ersatzmunition ab. Das T-Shirt und den Parka warf er Luke zu. »Dürfte ungefähr deine Größe sein.«
»Herrje.« Luke fasste die Klamotten nur mit spitzen Fingern an. »Muss das denn wirklich sein?«
»Kann jedenfalls nicht schaden.« Weller schob mit dem Fuß Schnee über die klebrigen Hirnreste. »Wenn ihr beide nach Chuckies riecht, ist das nur von Vorteil. Denkt daran, sobald wir drinnen sind, bin ich nur noch Futter.«
»Du schaffst das schon, Luke. Lass mir das Thermounterhemd. Und beeil dich.« Tom packte die Leiche an den Knöcheln und zog sie in den Graben, dann schaufelte er Schnee darauf, bis nichts mehr davon zu sehen war. Das Gewehr, eine Browning BLR ’81 mit Zielfernrohr, war eigentlich eine gute Waffe, aber für ihre Zwecke ungeeignet. Ihre Uzis hatten Schalldämpfer. Nachdem Tom die Patronen herausgenommen hatte, zerlegte er das Gewehr und verstreute die Einzelteile in alle Richtungen. Als er zurückkehrte, zog Luke gerade den Reißverschluss der Jacke des Toten zu.
»Ist irgendwie gruselig.« Luke zupfte an den Ärmeln. »Als würde ich in seine Haut schlüpfen.«
»Sollst du ja auch«, krächzte Weller.
»Du kannst die Sachen danach verbrennen, Luke«, murmelte Tom. Er konzentrierte sich auf das hügelige, buschige Terrain zwischen ihrem erhöht gelegenen Versteck und dem Schachteingang. Im Mondlicht leuchtete der Schnee schwach phosphoreszierend wie ein Glühwürmchen, was Tom an den Blick durch ein Nachtsichtgerät erinnerte. Vor ihnen lag das schneebedeckte Gefälle eines Hügels. »Du bist sicher, dass da der Schacht ist?«
»Ja«, bestätigte Weller. »Haltet euch nah am Hang. Dass einer abstürzt, würde uns gerade noch fehlen.«
Behindert von ihrem Gepäck, den Seilen und den Uzis, schlurften sie durch den Schnee, und da spürte Tom, wie sich der Untergrund unter seinen Stiefeln veränderte. Der Hügel bestand nicht aus kompaktem Material, sondern aus vereisten Steinbrocken. Sie krabbelten weiter, bis Weller eine kleine behelfsmäßige Stirnlampe anknipste. Ein leises Klick .
Im plötzlichen Lichtstrahl tat sich gähnend der Schacht vor ihnen auf wie eine schwarze, kreisrunde Wunde: eine breite Betonröhre von etwa sechs Meter Durchmesser. Fördergerüste und - maschinen gab es nicht mehr, nur eine mit Schraubbolzen im Beton verankerte Eisenleiter war noch übrig. Weller scharrte im Schnee nach einem Stein, den er dann in den Schacht fallen ließ. Leise zählte Tom mit: Fünf Sekunden. Fünfzehn. Bei dreißig sagte er: »Ich habe nichts gehört. Du?«
Weller schüttelte den Kopf und huschte bereits zur Leiter. Alles wirkte solide, aber über dem Schacht stieg Tom Rostgeruch in die Nase, und er sah, dass die Sprossen teilweise oxidiert und brüchig waren. Um einige Bolzen herum zeigten sich dünne, spinnwebenartige Risse, wo eindringendes Wasser gefroren war und den Beton gesprengt hatte.
»Probieren geht über Studieren«, meinte Weller. Er knüpfte einen Webeleinstek um einen Karabiner und klinkte sich daran ein. Dann umfasste Luke Toms Hüfte, und Tom, der das Sicherungsseil um den Rücken geschlungen hatte und mit beiden Händen festhielt, straffte sich, während der Alte vorsichtig den Fuß auf die erste
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