Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
Linke durch die Luft, und sie spürte, wie ihre rissigen Nägel über sein Gesicht schrammten. Mit einem Schmerzenslaut wich er zurück, und sie sah die blutigen Kratzer. Jetzt gelang es ihr, sich aufzurichten und mit der rechten Faust auf seinen Adamsapfel zu zielen.
Doch seine Hand schnellte vor, wehrte ihren Hieb ab, er packte sie am Handgelenk, dann drückte sein Knie ihre verletzte Schulter auf den Steinboden. Sie schrie auf. Er schlug zu, mit der offenen Hand und viel härter, als es ihr vorhin gelungen war, und traf sie unterm linken Auge. Jeder Gedanke war wie ausgelöscht, ihre Arme erschlafften, und benebelt vor Schmerz sah sie, wie er ausholte, um erneut zuzuschlagen …
Von irgendwoher jenseits des Gangs kam ein gedämpfter Knall, leise, aber unverkennbar: ein Flintenschuss.
Leopard erstarrte und verlagerte sein Gewicht. Alex spürte, wie der Druck auf ihrer Schulter nachließ, als er über die Schulter schaute.
Schnapp sie dir! Ihre linke Hand wagte sich vor, ihre Finger fanden harten Kunststoff, und schon riss sie die Glock heraus. Sie rammte den Lauf in Leopards Bauch, direkt am Nabel.
Eine Glock ist eine Glock, ist eine Glock, und das Schöne an einer Glock ist: nur automatische Sicherungen, nichts, was der Besitzer aktiv betätigen muss. Einfach zielen und abdrücken. Und Alex kannte Glocks ganz genau. Sie hatte tagelang Zeit gehabt, diese hier zu studieren. Sie war dabei gewesen, als Leopard Ray damit getötet hatte. Außerdem wusste sie, wann sie eine Glock mit einem Siderlock vor sich hatte, weil sie genau so eines an die Glock ihres Dad montiert hatte. Die Glock ihres Vaters hatte also eine Abzugssicherung.
Aber die von Leopard nicht.
Die Frage war nur, ob Leopard die Waffe geladen hatte. Um das zu überprüfen oder auch nur den Magazinverschluss anzuheben blieb ihr keine Zeit, denn dafür brauchte man zwei Hände, und sie hatte nur eine.
Riskantes Spiel.
Ihr einziger Trumpf.
Sie spielte ihn aus.
77
Albtraumartig hallte das Spannen der Flinte von den Felswänden wider: Ka-ka-tschang-tschang-krr-krrz-
Tom schleuderte den Stein mit einem kraftvoll tückischen Frisbee-Wurf: zwei Anteile Arm, drei Anteile Handgelenk. Der Stein traf das Mädchen mitten auf die Brust – genau in dem Moment, als sie schwungvoll die Flinte hochnahm. Tom hatte gesehen, dass sie schlampig vorging und zu selbstsicher, sie hatte die Flinte gespannt, noch bevor sie das Ziel ins Visier genommen und die Mündung ausgerichtet hatte. Insgesamt gab ihm das vielleicht zwei Sekunden Vorsprung – und die nutzte er.
Die Flinte ging los – KraWUMM ! Er war sofort taub. Kurz blendete ihn auch die helle Zunge des Mündungsfeuers, aber immerhin lebte er noch und konnte es sehen. Eine zweite Chance würde er nicht bekommen. Entweder seine Uzi oder ihre Flinte, und seine Uzi war näher. Er sauste nach rechts, aber jetzt machte sie eine Drehung, spannte erneut und zielte dorthin, wo er im nächsten Moment sein würde.
Er konnte gerade noch denken: Zu spät …
Den Schuss hörte er nicht, dazu war er zu leise, und sein Hörvermögen bereits passé. Aber der Schmerz, mit dem er gerechnet hatte – wenn ihm das Schrot den Körper durchlöcherte –, trat nicht ein. Im nächsten Sekundenbruchteil lag er auf dem Boden und schnappte sich seine Uzi …
Das Mädchen fiel um, ihr rutschte die Flinte aus der Hand. In der Schwärze des Tunnels vor sich sah Tom ein anderes Mündungsfeuer aufblitzen, jemand schoss auf den zappelnden Jugendlichen, aber da verzog sich der Junge auch schon, und man sah es nur noch messingfarben blinken. Tom spürte, wie wild sein Herz pochte, aber nicht einmal das hörte er, in seinen Ohren war nur lautes surrendes Summen. Ihm wirbelte ein verrückter Gedanke durch den Kopf: Noch mehr Schüsse in nächster Nähe, und er würde taub werden. Zitternd wartete er und atmete dabei hektisch ein und aus, bis es heller wurde und er genug sah, um zu begreifen, wer kam.
»Ich bin hier drüben«, er machte sich nicht mehr die Mühe zu flüstern und richtete den Lauf seiner Uzi zur Decke.
Luke bog um die Ecke, bleich und mit bebenden Lippen. Alles okay?
»Ja. Danke, dass du nicht auf mich gehört hast.« Ein leises Zischen unterbrach jetzt das Summen in seinem Ohr.
Lukes besorgte Miene verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Ich wär ja dort geblieben, aber dann hab ich die Kids entdeckt und gesehen, dass sie direkt auf dich zusteuern.« Sein Blick fiel auf das improvisierte Netzwerk aus Zeitzündern, und er
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