Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
dem Rücken liegend in die nächste und deponierte einen Sprengsatz nur wenige Zentimeter vor seiner Nase.
Er war im sechsten Flöz, als ihm eine Idee kam. An jedem Sprengsatz einen Zeitzünder anzubringen würde zu lange dauern.
Aber wenn ich nur einen zünden müsste …
Er wand sich heraus und ging in die Hocke, zog vier, fünf, schließlich sechs Längen Zündschnur heraus. Überlegte. Dann nahm er sein Messer und das Klebeband und verband die Zündschnüre, sodass sie in alle Richtungen ausstrahlten wie ein Spinnennetz. Zehn Meter, hundertvierzig Sekunden pro Meter: fast 25 Minuten. Da brauchte es keine Verzögerung. Mit so viel extra Zeitzünder würde diese Kammer sogar erst als letzte hochgehen, aber die Explosion wäre am heftigsten und konzentriertesten. Wenn Weller recht hatte, trennten nur zwanzig Meter brüchiger Fels diese Kammer von den Chuckies. Der Boden würde ihnen unter den Füßen wegbrechen.
Könnte sogar bis zu den gefluteten Ebenen durchschlagen, und wenn es Gasblasen mit Schwefelwasserstoff gibt, gehen die auch hoch. Mit den Zähnen riss er noch ein Stück Klebeband ab, dann hob er den Stein auf, der das Einrollen der Zündschnur verhindert hatte. Wenn sie zünden, dann …
Da hörte er, wie Stein gegen Stein schrammte, jemand kickte einen Brocken weg. Ein wenig ärgerlich drehte sich Tom um. Hatte er Luke nicht eingeschärft, sich nicht von der Stelle zu rühren? Zu bleiben, wo er war? Mein Gott, wenn er, Tom, nur ein bisschen nervöser wäre, hätte er den Jungen womöglich erschossen …
Aber da bemerkte Tom zwei Dinge gleichzeitig.
Erstens hätte er Luke gar nicht erschießen können, weil er so dumm gewesen war, seine Uzi außer Reichweite an seinen Rucksack zu lehnen.
Und zweitens hatte er Besuch.
Das Mädchen hatte vor seiner Verwandlung anscheinend einiges durchgemacht – vielleicht Probleme mit Drogen oder in Gangs. Oder Missbrauch. Die Narbe, die sich über ihr Gesicht zog, konnte von einem Messer stammen.
Der zapplige Junge kam daher wie ein Ninja-Kämpfer. Über seinen mageren Schultern hing ein mit M430-Granaten bestückter Patronengurt. Ohne Granatwerfer konnte man die Dinger allerdings nicht scharf machen, die waren also kein Problem.
Das Gewehr des Narbengesichts dagegen …
76
A lex war nur einmal sturzbesoffen gewesen, und das auch noch allein: Beim allerersten Mal hatte sie sich mit ihren beiden Freunden, der Glock und Jack Daniels, in den Keller ihrer Tante gewagt. Betrunken zu sein fand sie überhaupt nicht komisch – sie war weder entspannt noch euphorisch, sie musste nicht mal kichern –, sie fühlte sich nur benommen und schwindlig, aber die Welt drehte sich nicht, es war eher, als würde sie nach hinten fallen und in abgrundtiefes Wasser hinabgezogen werden. Wenn sie die Augen schloss, wurde es nur noch tausendmal schlimmer, die Schwärze hinter ihren Lidern rotierte immerfort. Ihr wurde nicht schlecht, und ihr war nicht weinerlich zumute, aber als sie es sich das nächste Mal mit der Glock gemütlich machte, ließ sie es mit dem Jack Daniels behutsamer angehen.
Und genau dieses Gefühl – rückwärts in einen schwarzen Strudel zu fallen – hatte sie jetzt auch.
Mein Gott, nein, warum jetzt? Sie biss die Zähne zusammen, kämpfte gegen den schwindelerregenden Sog. Klar, sie wusste warum. Er dachte an sie, plante, was er tun würde. Schlimmer noch, der Film in ihrem Kopf lief bereits ab, die Bilder flackerten in grellen Überblendungen vor ihrem inneren Auge auf: Alex, um sich schlagend, und Leopard drückte sie auf den Boden nieder, umklammerte mit einer Hand ihre Kehle, sodass sie nicht schreien konnte, riss mit der anderen Hand an ihrem …
Stopp! Sie schlug sich so fest auf die rechte Wange, dass ihr die Luft wegblieb und Tränen in die Augen traten. Für einen Augenblick zerbrachen die Bilder wie das glasklare Spiegelbild von Himmel und Bäumen in einem Teich, sobald man einen Stein hineinwirft. Na komm, mach schon, weiter … Sie ohrfeigte sich ein zweites, ein drittes Mal, noch viel härter, sodass das Klatschen an den Wänden widerhallte. Da rastete in ihrem Kopf etwas ein: Ein weißer Blitz zuckte durch diesen betäubenden Wirbel, das grässliche Gefühl zu fallen hörte auf, und ihr Verstand wurde klar.
Sie keuchte. Leopards Ausdünstungen waren heiß und schwer und süßlich, wie erhitzter Honig mit Jauche versetzt. Offenbar hatte er gerade gegessen, denn sein Atem stank ekelhaft, nach Fett und feuchtem Kupfer. Der gelbe Schimmer seiner
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