Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
ins Hospiz zu begleiten. Nachdem er und der Direktor einander begrüßt hatten, fragte der Schulleiter: »Chris, meinst du, du kannst noch ein paar Exemplare von Robinson Crusoe auftreiben? Sagen wir, zehn? Ach, außerdem noch Insel der blauen Delfine , und irgendwas von Cleary oder Dahl …«
Als sie zum Ausgang gingen, fragte Alex: »Kannst du das wirklich alles besorgen?«
»Wahrscheinlich nicht.« Chris hielt ihr die Tür auf und folgte ihr in die Kälte hinaus. Zur Abwechslung schien mal die Sonne. Blinzelnd griff er in seine Brusttasche, zog eine Pilotensonnenbrille hervor und setzte sie auf. Alex war kurz neidisch. Die Sonne schien so hell, dass es wehtat und sie die Augen mit der Hand abschirmen musste. »Hast du keine Sonnenbrille?«, fragte Chris.
»Doch«, antwortete sie leicht gereizt. Sie war ja nicht blöd. »Die war in meinem Rucksack.«
»Entschuldige«, sagte er, »ich wollte dich nicht kritisieren.«
»Kein Problem.« Aufklären , dachte sie. »Woher bekommst du denn nun Bücher?«
»Manche gibt es im Dorf, aber die nächste Bibliothek ist drei oder vier Tagesreisen entfernt, das kommt eigentlich nicht infrage. So ein Einsatz bindet zu viele Männer und Fahrzeuge, als dass es sich lohnen würde. Die meisten Häuser im Umkreis von dreißig Kilometern sind bereits ausgeräumt worden, sofern man sie nicht niedergebrannt hat.«
Sie löste Honeys Zügel und schwang sich in den Sattel. Der Schnee reichte schon halb bis zu Honeys Knien. Demnächst würde sie das Pferd gegen ein größeres eintauschen müssen. Oder mit Skiern zum Hospiz fahren. Was, wie ihr gerade einfiel, eine gute Gelegenheit wäre, an Skier und vielleicht auch an Schneeschuhe heranzukommen. »Ja, ich hab sie gesehen, diese ausgebrannten Häuser. Ist mir ein Rätsel.«
Chris lenkte Night, seinen Braunen, neben sie, und zusammen überquerten sie den Dorfanger, ehe sie in nördlicher Richtung in eine Nebenstraße zum Hospiz einbogen. »Sind meistens Plünderer. Leute, die alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist, und den Rest in Brand stecken. Sie sind nicht so viele und nicht so organisiert wie wir, sonst hätten sie Rule schon eingenommen. Aber neuerdings verfolgen sie eine interessante Strategie.«
»Welche?«
Er sah sie durch seine dunklen Gläser aufmerksam an. »Je mehr Häuser sie niederbrennen, desto mehr Leute kommen hierher. Das spricht sich herum. Je mehr Leute wir aufnehmen, desto weiter müssen wir hinaus, um Sachen zu besorgen. Und je weiter wir uns von Rule entfernen, desto angreifbarer sind wir. Aus diesem Grund haben wir Aufnahmebeschränkungen, trotzdem gehen wir jetzt größere Risiken ein als früher, manchmal sind wir tagelang unterwegs, bis wir finden, was wir brauchen. Vielleicht entspannt sich die Lage, wenn wir wieder etwas anpflanzen können, aber bis dahin sind wir wie alle anderen auf das angewiesen, was wir ergattern können.«
»Ist das letzte Nacht passiert? Dass Plünderer versucht haben, ins Dorf zu kommen?«
Er nickte. »Wir haben drei Männer verloren.«
»Und die Plünderer?«
»Zwei haben wir erwischt, zwei sind uns durch die Lappen gegangen. Das nächste Mal verfolge ich sie. Ist mir egal, was Peter sagt. Wenn wir ihnen zu ihrem Lager oder ihrem Dorf oder was auch immer folgen würden, könnten wir sie fertigmachen und uns ihre Beute schnappen. Eine Gruppe weniger, die uns Ärger macht, und mehr Vorräte für uns.«
»Aber das sind keine Veränderten, Chris. Das sind doch nur Leute, die ums Überleben kämpfen.«
»Und uns unsere Sachen wegnehmen wollen.«
»Wenn man mit ihnen reden würde, wären sie vielleicht kooperativ …«
»Mit diesen Typen kann man nicht reden.«
»Woher weißt du das? Hast du’s mal versucht?« Als er nicht antwortete, setzte sie hinzu: »Chris, du kannst doch nicht einfach Leute umbringen und ihnen ihre Sachen wegnehmen.«
»Warum nicht?« Seine Augen hinter der Sonnenbrille blickten unbeirrt auf die Straße. »Wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, würden sie uns genauso umbringen.«
Das Hospiz war klein: vier Trakte, sechzig Betten, von denen nur zwanzig mit echten Hospizpatienten belegt waren. Die meisten befanden sich im Endstadium einer Krebs- oder Lungenerkrankung. »Sind viele Bergarbeiter darunter«, sagte Kincaid, als sie vor einem Tagesraum standen. »Wir bemühen uns einfach, es ihnen hier angenehm zu machen.«
Alex’ Blick schweifte über die Ansammlung von Patienten – hauptsächlich alte Männer mit tragbaren grünen
Weitere Kostenlose Bücher