Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
dem Hintern die Tür zu und ging an den Tisch, wo seine Bücher lagen. »Darf ich?«
Obwohl ihn der Essensgeruch schier wahnsinnig machte, rührte er sich nicht vom Fleck. »Hast du nicht Angst, ich könnte plötzlich Lust auf Hühnerbrust statt auf Rindereintopf kriegen?«
»Nein, du sprichst ja noch. Es ist übrigens Wild. Und ich bin hart im Nehmen.« Sie sah ihn aus ihren grauen Augen an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Außerdem bin ich viel schneller, jünger und wahrscheinlich ein besserer Schütze als Isaac. Würdest du mir jetzt mal helfen, oder soll ich dir das Essen auf den Boden stellen?«
Wortlos stapelte er die Bücher aufeinander und ließ sie aufs Bett plumpsen. An den Messingbettpfosten gelehnt beobachtete er mit verschränkten Armen, wie sie flink und routiniert den Tisch für ihn deckte. Es ärgerte ihn, dass er nicht darüber hinwegsehen konnte, wie hübsch ihr buchweizenfarbenes Haar zu einem glatten Zopf geflochten war. Oder dass sie immer noch wie Honig und Hafermehl roch.
»Abgesehen vom Eintopf«, sagte sie mit dem Rücken zu ihm, »gibt es noch ein paar eingemachte Pfirsiche vom letzten Jahr, und ich hab dir eine Tasse Brennnesseltee aufgebrüht. Der hat viel Eisen, hilft gegen Blutarmut in jeder Form.«
»Ach ja? Aber vielleicht sollte ich jemanden vorkosten lassen?«
Als sie sich umdrehte, tat sie es ohne viel Aufhebens, wie eine Kindergärtnerin, die weiß, dass dieses lästige Kleinkind nur einen noch schlimmeren Wutanfall bekommt, wenn man es anschreit. »Ich habe mich schon entschuldigt. Dass ich nicht perfekt bin, weiß ich selbst, aber angesichts der Umstände …«
»Ja, bla, bla, bla … wenn du es noch mal tun müsstest, würdest du dieselbe Entscheidung treffen. Schon klar. Du sagst ja selbst, das haben wir alles schon durchgekaut.«
»Was willst du dann von mir?«
Jemanden, mit dem ich streiten kann, damit ich nicht darüber nachdenken muss, was ich als Nächstes tun soll. »Wie wär’s, wenn ihr mich erst mal hier rauslasst?«
»Du weißt, dass ich das nicht zu entscheiden habe.«
»Aber Isaac würde auf dich hören.«
»Kann sein, aber ich finde, dass es keine schlechte Lösung ist. Ich habe es zwar noch nicht oft miterlebt, wenn sich Jugendliche verändern, aber du bist ein ganz spezieller Fall.«
»Wie du richtig bemerkt hast, spreche ich noch. Ich bin auch nach dem Aufwachen noch ich selbst.« Über die Frage, wo er zuvor gewesen war, wollte er lieber nicht nachdenken, und beantworten konnte er sie sowieso nicht. Er deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die Bücher. »Du warst auf dem College. Da hast du deine Wissenschaft. Was willst du mehr?«
»Ich kann mich nur wiederholen: Besprich das mit Isaac. Und wenn sonst nichts ist«, sie bewegte sich auf die Tür zu, »ich hab noch einiges zu tun, und die Lämmer müssen gefüttert werden.«
»Warte.« So wütend er war, er hielt es mit sich allein einfach nicht mehr aus. »Schau, es tut mir leid, dass ich mich so danebenbenommen habe. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass ich umgebracht werde und dann wieder aufwache … Tut mir leid.« Er hob die Hand. »Ehrlich. Das hätte ich nicht sagen sollen. Kannst du nicht noch ein bisschen hierbleiben? Außer Isaac und Ellie redet niemand mit mir. Ihr behandelt mich, als wäre ich ein Aussätziger. Und Jayden ist wohl noch unschlüssig, ob er mich lieber sezieren oder Menschenversuche starten soll, um rauszufinden, was mit mir los ist.«
»Wenn er ein Labor hätte, würde er wahrscheinlich beides tun«, meinte Hannah ungerührt.
Das hob seine Stimmung auch nicht gerade. »Warum habt ihr alle solche Angst vor mir?«
»Das fragst du noch? Wir können uns nicht erklären, was mit dir los ist, wir wissen nicht, was passieren wird, und, ach ja, ganz nebenbei bemerkt: Ein klein wenig gewalttätig warst du auch.«
»Ich war durcheinander, okay? Lass du dich mal von Nägeln durchbohren, dann vergiften und von einem alten Mann aufwecken, der irgendeinen Mumpitz mit dir veranstaltet, dann sehen wir, ob du nicht auch ein bisschen ausflippst.«
»Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht tatsächlich kurz vor dem Ausflippen bin, Chris? So toll finde ich das nicht, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe.« Sie klang jetzt wütend.
Die Situation falsch eingeschätzt? Hatte sie etwa gerade einen Fehler zugegeben? »Also, können wir uns darauf einigen, dass wir alle etwas gereizt sind? Bitte, bleib noch ein bisschen. Ich halte es nicht
Weitere Kostenlose Bücher