Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
bist du auch nicht besser als die Leute, die Ellie entführt haben.«
»So einfach ist das nicht.«
»O doch. Ich habe nie ein Kind entführt. Und ich würde niemals zulassen, dass jemand ein Kind benutzt, um sich Asyl zu erkaufen.«
»Um es mit deinen Worten zu sagen: Es war nicht meine Entscheidung.«
»Aber du hast sie umgesetzt.«
»Wir alle müssen immer wieder Entscheidungen treffen. Ich wollte nur helfen. Ich habe getan, was mir damals richtig erschienen ist.« Als er diese Sätze aussprach, klangen sie wie die Plattitüden, die sie waren.
»Und du würdest es wieder tun, ganz genauso.«
»Du meinst, so wie du beschlossen hast, mich umzubringen?«, konterte er. »Ja, ich denke schon. Damit sind wir quitt. Ich würde Mittel und Wege suchen, damit Kinder am Leben bleiben, und du würdest Leute heimlich Gift schlucken lassen.«
In der plötzlichen Stille klang ihm das Echo seiner Stimme in den Ohren nach. Sie saß da wie erstarrt, mit hochroten Wangen und einem harten Zug um den Mund. Idiot. Er musste ruhig bleiben, vernünftig sein. Wenn man die Menschen zu sehr reizte, explodierten sie irgendwann. Tut mir leid, Dad, tut mir leid, es ist meine Schuld, ich mach’s nie wieder.
»Ich habe nie …« Sie räusperte sich. »Es geschah nie heimlich. Wenn man jemandem nicht mehr helfen kann, wenn es keine Hoffnung gibt, dann hat man die Wahl. Wenn die Hunde uns warnen, wenn wir sicher wissen, dass ein Kind sich«, ihre grauen Augen blickten in die Ferne, »verwandelt, dann hat man noch die Wahl.«
»Welche Wahl?«
»Was glaubst du denn, Chris? Wenn du dich verändern würdest, wenn du wüsstest, dass du bald versuchen würdest, deine Freunde zu töten, Menschen, die du liebst … willst du mir sagen, dass du dich dafür entscheiden würdest, einer von ihnen zu werden?«
»Welche Wahl?«, fragte er noch einmal. In diesem Augenblick verstand er vollkommen, warum Peter die Zone errichtet hatte. Trotz der Geheimnisse und Lügen kannte er Peter, er liebte ihn noch immer, würde für ihn sterben. Wenn Peter sich ihm anvertraut hätte, hätte er ihm dann geholfen?
Vielleicht schon. Denn wenn sich Alex verändern würde … oder Peter … könnte ich niemals den Abzug betätigen. Und bestimmt erging es Peter genauso. Als er miterlebte, wie sich seine Freunde, die Menschen, die er liebte, vor seinen Augen veränderten, musste Peter versuchen, einen Ausweg zu finden. Wo Leben war, gab es auch Hoffnung. Sie könnten sich ja zurückverwandeln, wieder normal werden. Die Kunst bestand darin, sie lange genug am Leben zu erhalten, damit sie eine Chance hatten.
Ja, aber wie lange würdest du das Experiment laufen lassen? Monate? Jahre? Hat Hoffnung ein Verfallsdatum?
»Erzähl mir nicht, du würdest irgendein Kind frei herumlaufen lassen, wenn du den Verdacht hast, dass es sich verändert. Also, welche Wahl gibt es da schon?« Ihm wurde bewusst, dass er einen Streit vom Zaun brechen, es ihr heimzahlen wollte. »Was macht ihr dann, sperrt ihr sie ein und lasst sie verhungern, oder erschießt ihr sie gnädigerweise, wenn sie tollwütig werden?«
»Maß du dir kein Urteil über uns an.« Ihre grauen Augen wurden hart wie Stein. »Wage es nicht. Ich schulde dir keine Antworten, Chris. Du hältst dich für was ganz Besonderes und für so rechtschaffen, stimmt’s? Dabei weißt du gar nichts über uns.«
»Ihr wisst auch nichts über mich. Ihr interessiert euch nicht einmal für meinen Standpunkt. Euer Urteil ist längst gefällt.« Seine Stimme zitterte. Die Wut in seinem Bauch war fast nicht mehr zu zügeln. »Na schön. Probieren wir es mal mit Mathe, Hannah, denn Mathematik ist sauber, sie ist rein, sie ist so wissenschaftlich, dass sogar Jayden damit einverstanden wäre. Zahlen kann man nicht groß- oder kleinreden. Dass zwei und zwei gleich vier ist, lässt sich nicht leugnen.«
»Das bringt doch nichts …«
Er fiel ihr ins Wort. »Nathan und mich nicht mitgerechnet liegen elf Tote in diesem Leichenhaus, hat mir Ellie erzählt. Nehmen wir an, eure Gruppe hat mit rund zwanzig Leuten angefangen, dann bedeutet das, ihr habt in fünf Monaten siebzig Prozent eurer ursprünglichen Bevölkerung verloren.«
»Einige dieser Leute waren alt.«
»Aber doch nicht die Mehrheit. Manche Jugendliche haben sich danach noch verändert, und entweder habt ihr sie getötet, bevor die Veränderung abgeschlossen war, oder danach. Aber es gab auch andere, Hannah … andere, die krank waren und denen ihr nicht helfen konntet. Und so
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