Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)

abgeschnitten und an die Hunde verfüttert hab«, knurrte Sam.
    »Ich weiß nicht.« Wie ein pinkfarbener Strang schnellte Lucians Zungenmuskel vor, schoss schlangengleich auf Kincaid zu. Sein Piercing blitzte auf. »Mein Dad hat jeden Winter die Zunge von einer alten Kuh gekocht, dazu gab’s eine Soße mit Rosinen und Wein und so ’nem Zeug. Irgendso ein Judenessen, schmeckte aber saugut.«
    »Ja, aber dafür brauchst du erst mal ’ne Kuh«, sagte Sam.
    »Oder einen Juden«, meinte Aidan, und die drei Jungs kicherten.
    Greg beachtete sie nicht. »Doc?«
    »M-mit mir ist a-alles in Ordnung, Greg. Danke, mein Junge.« Kincaid kramte in seiner Tasche und riss dann mit zitternden Händen ein Päckchen Verbandsmull auf. Winselnd kam Daisy aus ihrer Ecke und stupste Kincaid am Ellbogen. »Ja, ja, Daisy, ist schon gut«, sagte Kincaid und schob den Hund behutsam weg, als er ihm über die blutigen Finger lecken wollte. »Greg, sie ist ganz durcheinander. Rufst du sie bitte zurück?«
    »Daisy, Platz «, fauchte Greg beschämt, und das Blut schoss ihm in den Kopf. Er sollte zu Kincaid hinübergehen. »Komm schon, sitz! «
    »Lass doch den alten Scheißer«, sagte Aidan. »Dem fehlt nichts.«
    »O doch!«, fuhr Greg ihn an. »Wenn du so was noch einmal machst …«
    »Ja, was dann? « Aidan warf die blutige Antenne beiseite. Die dünne Peitsche landete federnd auf dem dreckigen Ziegelboden und rollte in eine Lache aus Dales Blut. Aidan öffnete den Reißverschluss seines Parkas und enthüllte ein schlabbriges, rot kariertes Flanellhemd und ein weißes Thermounterhemd, das am Kragen von speckigem Aschgrau war. »Willst du dich mit mir prügeln? Willst du’s drauf ankommen lassen? Nur zu.« Während er die knochigen Schultern straffte, schlug er einen Falsett-Ton an: »Oder hat der arme kleine Greggie-Weggie zuviel Schiiiiiss? «
    Aidans Lakaien lachten heulend auf.
    »Hey, hey, hör auf damit, Aidan«, mischte sich Pru ein, dessen Blick zwischen den drei Musketieren und Greg hin- und herschoss. »Mensch Greg, lass es gut sein.«
    »Vergiss es.« Die Zornesröte war ihm ins Gesicht gestiegen, und bevor er es sich anders überlegen konnte, war er schon aus seinem Parka geschlüpft. »Halt dich da raus, Pru.«
    »Greg, hör auf ihn. Tu’s nicht.« Kincaid rappelte sich auf und drückte mit einer Hand immer noch den blutgetränkten Verbandsmull an die Wange. »Mir geht’s gut. Beruhige dich.«
    »Misch dich nicht ein, Doc!«, brüllte Greg und dachte: Ich will mich nicht beruhigen. Ich bin seit Monaten nicht mehr ruhig. Warum soll ich es jetzt auf einmal sein? Sein Herz klopfte so wild, dass er es bis in die Zähne spüren konnte. Sein Hirn fühlte sich an wie eine einzige Wunde, die Migräne stach mit Messern darauf ein. Keiner hatte ihm jetzt noch etwas vorzuschreiben, keiner! Er war der Boss, Peter war tot und Chris weggerannt; jawohl, weggerannt, und hatte ihm, Greg, nichts als einen Scherbenhaufen hinterlassen, und verflucht noch mal, was für ein Freund machte so was? Und jetzt stand Aidan grinsend vor ihm und hatte garantiert irgendein schönes scharfes Messer oder sonst einen spitzen Gegenstand parat – und wenn nicht er, dann einer von seinem Pack – und das würden sie Greg in den Bauch oder ins Herz stoßen und sagen, es sei Notwehr gewesen. Und damit würden sie durchkommen, weil die Verschonten ja so was Besonderes waren, dass man ihnen sogar einen Mord durchgehen ließ. Und Mick Jagger schmetterte unterdessen: Please, Doctor, I’m damaged …
    »Tretet zurück, alle!« In Gregs Adern pulsierte glutrote Wut. »Macht Platz, los jetzt! «
    »Nein, Greg!«, riefen Kincaid und Pru wie aus einem Mund – doch dann war es ausgerechnet der arme Dale Privet, der Greg wahrscheinlich das Leben rettete.
    »Mein Gott«, sagte Dale etwas verwundert mit seiner keuchenden Altmännerstimme, »was ist bloß mit euch los? Was tut ihr Jungs euch gegenseitig an?«

11
    Alex hatte keine Ahnung, was sie tun oder wie sie sich retten konnte. Bei einem Absturz an einem normalen Hang, kein Problem: auf den Bauch drehen, einkrallen, Kopf schützen. Und vor allem keine Panik.
    Aber was zum Teufel man in einer Lawine tun sollte, hatte ihr Dad ihr nie beigebracht.
    In dieser Welt gab es nichts als Schnee. Als würde Alex in einer gewaltigen Woge mitschwimmen, nur dass sie nicht wie ein Surfer darauf ritt, sondern davon umfangen war, mitgerissen in einem aberwitzigen wirbelnden Tosen. Sie purzelte und überschlug sich, krachte mal zur