Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
verabschiedet. Er konnte sich gut vorstellen, dass der Junge einfach losgezogen wäre und nach irgendwelchen Hinweisen gesucht hätte, wohin die Chuckies Alex gebracht hatten – was seiner Meinung nach nicht mal so abwegig war, wie es sich anhörte. Was Tom über dieses ganze Fiasko erzählt hatte, das sich in der Nacht, als sie das Bergwerk sprengten, oben am Hügel abgespielt hatte, und wie die Chuckies ihnen entgegengerannt kamen … das klang verdammt plausibel. »Momentan will er reden, also hör ich ihm zu.«
»Ja, und du bist bestimmt ein sehr verständnisvoller Zuhörer.« Plötzlich verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. »Hast du etwa versprochen, ihm bei der Suche nach ihr zu helfen?«
Dass sie diese Schlussfolgerung so schnell gezogen hatte, beunruhigte ihn. »Nicht direkt.«
»Himmel, was …« Sie schnaubte. »Was hast du ihm gesagt?«
»Wenn wir mit Rule fertig sind und es irgendwelche Hinweise gibt, eine Richtung … dann helfe ich ihm.«
Mellies Kinnlade klappte nach unten. »Weller, sie ist tot. Er fantasiert sich da etwas zusammen wegen eines Skistocks und einer Pistole, die nicht mal ihre war.«
»Schau, Mellie, er ist ja nicht so abgedreht, dass er nicht merken würde, wie verrückt das ist. Oder zumindest sehr weit hergeholt. Aber du warst nicht dort oben auf dem Hügel. Du schleppst nicht so eine Last mit dir herum wie er. Das Letzte, was er gebrauchen kann, ist, dass wir ihm das ständig unter die Nase reiben oder dass du dich einmischst und ihm eine Standpauke hältst …«
»Ich tue, was ich für richtig …«
»Halt die Klappe!«, fuhr Weller sie an. »Mellie, jetzt hör mir mal gut zu. Tom ist Soldat. Er ist intelligent, er ist stark. Er ist tapferer und loyaler als fast alle Menschen, die ich kenne …«
»Und komplett verrückt, allein dort raufzugehen …«
»Weil er eben noch ein Herz hat, das brechen kann«, krächzte Weller. »Mensch Mellie, denk doch mal eine verdammte Sekunde lang nach. Tom isst nicht; er schläft kaum. Er trauert. Und dann taucht diese Glock auf, und er klammert sich verzweifelt an diesen Strohhalm, aber die Hoffnung ist so zerbrechlich und seine Seele auch. Und ich werde ihm seine Hoffnung nicht rauben. Irgendwann wird er drüber wegkommen, das weiß ich. Und ich glaube, er weiß das auch selbst. Jeder macht das eben auf seine Art, und wann es für ihn passt. Tom ist noch nicht so weit, aber das kommt schon noch. Alles in allem war dieser Kampf mit dem Chuckymädchen eine gute Sache.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Es gibt nichts Besseres als eine kleine Nahtod-Erfahrung, um die Vorzüge des Lebens wieder schätzen zu lernen«, erwiderte Weller ohne die Spur eines Lächelns. »Der Junge hätte heute fast den Löffel abgegeben, und das hat ihm eine Heidenangst eingejagt. Jetzt redet er endlich, und das ist gut. Aber die Sache kann auch nach hinten losgehen. Wenn man ihn zu sehr unter Druck setzt, kapselt er sich wieder völlig ab. So ist Tom eben: Er macht alles mit sich allein aus.«
»Und treibt sich dann auch allein am See rum.«
»Ja, ja.« Langsam ging sie ihm auf die Nerven. »Können wir das jetzt mal abhaken? Und ihm vielleicht zugutehalten, dass er sich nicht einfach verkriecht, wie andere das nach so einem Kampf getan hätten?«
»Meine Güte.« Ihre Augen blitzten auf. »Du bewunderst ihn. Was ist er für dich? Der Junge, der du immer gern gewesen wärst, aber nie sein konntest? Oder steckt noch mehr dahinter? Erzähl mir bloß nicht, dass du ihn liebgewonnen hast. Herrgott, Weller – er ist ein Werkzeug. «
»Jeder wird dir sagen, dass man seine Werkzeuge pfleglich behandeln muss, damit sie funktionieren.«
»Lass mich mit deinem Cowboy-Folklore-Kram zufrieden.« Sie gab ein genervtes Grunzen von sich. »Woher also dieser plötzliche Sinneswandel?«
Auf dem Hügel. Als ich gehört habe, wie sie rief und er ihr antwortete und fast dabei draufgegangen wäre, um zu ihr zu gelangen. Da wurde mir klar, was ich gerade getan hatte, und dass es das nicht wert ist, nicht einmal um der Rache willen. Wenn es jemals jemand nötig gehabt hatte, die Vergangenheit hinter sich zu lassen … Aber ob es klug wäre, Mellie ins Vertrauen zu ziehen, wagte er zu bezweifeln. Sie hatte ihre eigenen Loyalitäten, und zwar keineswegs ihm gegenüber. Weller kehrte ihr den Rücken zu, als er sich ein zweites Päckchen löslichen Kaffee aufriss. Das Aroma des starken Pulvers ging ihm wie immer durch und durch, es war etwas so Gutes und Köstliches,
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